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■ Press-SchlagHaarige Sache

Higuita, Rene? Richtig, das war doch dieser Verrückte, der mehr wollte, als nur zwischen den Pfosten stehen. Der bei der WM in Italien so lange zu weit vor seinem Tor hin- und herhüpfte und den Libero spielte, bis ihm im Achtelfinale der Kameruner Pensionär Roger Milla den Beinschuß versaute und mit dem breitesten Grinsen der Fußballgeschichte und dem Ball ins verwaiste Tor trabte, während die schwarzlockige Mähne Higuitas verzweifelt hinter ihm herhetzte. Der kolumbianische Nationaltrainer Maturana nahm Higuitas Aussetzer mit einem Schulterzucken: „Was heißt schon Risiko, das ganze Leben ist ein Risiko.“

Das nahm sich der 1,75 Meter kleine Rene wohl sehr zu Herzen und kehrte zurück nach Kolumbien, um Staatspräsident zu werden. Daß er seine politische Karriere unbedingt als Kandidat für die M19, eine Partei, die der nicht sehr beliebten Guerilla nahesteht, beginnen wollte, machte ihn zwar zum einzigen Fußball-Revoluzzer neben Ruud Gullit, aber brachte ihm soviel Ärger mit seinem sozialdemokratischen Vereinspräsidenten ein, daß der ihm mit Entlassung drohte und ihn schließlich für ein Butterbrot an Real Valladolid verhökerte. In Spanien wurde Higuita als der größte Fliegenfänger gepriesen, der je in der dortigen Liga gespielt hat, und nach nicht mal fünf Monaten wieder heimwärts befördert. Dort angekommen, verbrachte Higuita seine Zeit mit wenig Training und noch weniger Spielen, sondern verprügelte Journalisten und beschäftigte sich wohl zu intensiv mit ungesunden weißen Pülverchen. Außerdem wurden ihm intensive Kontakte zum Drogenboß Pablo Escobar nachgesagt, und damit war der ehemals zum besten Torhüter Südamerikas gekürte und nach der WM als Nationalheld Gefeierte auch bei seinen Landsleuten untendurch.

Richtig gefährlich wurde es allerdings erst, als Higuita meinte, sich dem kolumbianischen Nationalsport Entführung widmen zu müssen. Er vermittelte zwischen Hijackern und der Familie des Opfers, das daraufhin freikam, kassierte angeblich 50.000 Dollar, wurde erwischt und verhaftet.

Jetzt wartet er auf eine Strafe zwischen sechs und 16 Jahren und beschäftigt die Medien des Landes wie nie zuvor. Ganz und gar nicht interessiert dabei das Strafmaß oder was aus „el loco“, dem Verrückten, denn nun wird. Seine Haare sind's, die per Behördenanordnung fallen sollen. Doch seine Anwälte erreichten eine einstweilige Verfügung, die den in Gefängnissen vorgeschriebenen Kurzhaarschnitt vorerst verhinderte.

Nach Meinung der Anwälte würde ein erzwungener Haarschnitt das verfassungsmäßige Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beschneiden: „Wir werden bis in die letzte Instanz gehen, um die Rechte, sprich Haare, unseres Mandanten zu verteidigen.“ Neben den Frauen, die Higuita 1990 zum attraktivsten Mann des Landes wählten, unterstützen ihn vor allem Gymnasiasten, die wegen zu langer Haare von ihren Schulen flogen. Das Interesse an der haarigen Geschichte brachte die Verantwortlichen so ins Schwitzen, daß sie notfalls bis zum Verfassungsgericht gehen wollen, um ihre Entscheidung abzusichern: „Die Welle des Protestes ist riesengroß, und wir wollen und dürfen keinen Fehler machen.“

Und das kann dauern. Wenigstens so lange ist Higuita populärer als zu seiner aktiven Zeit, die für den 26jährigen durch den Knastaufenthalt wohl sowieso beendet sein dürfte. Und wenn er schon nicht als Erneuerer der Torhüter-Rolle in die Geschichte eingehen wird, dann vielleicht wenigstens als Revolutionär des kolumbianischen Strafvollzugs. to

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