Licht und Blau

Reflexionen über das Sehen: Die Regisseure Peter Greenaway und Derek Jarman auf der Biennale in Venedig  ■ Von Sybille Weber

Wasser ist transparent, ein Filmstreifen schwarz – erst ihre Verbindung mit Licht läßt Farbe entstehen: Wasser wird blau, ein Filmstreifen durchlässig. Auf der Biennale in Venedig präsentierten die englischen Regisseure Peter Greenaway und Derek Jarman radikale Reflexionen über das Sehen und das Kino. Greenaway mit der Inszenierung von „Watching Water“ im Museo Palazzo Fortuny, Jarman mit seinem Film „Blue“.

Wer sich durch schmale Gassen zum Campo San Benedetto schlängelt, wird unerwartet mit einer irreal wirkenden Symphonie in Blautönen konfrontiert. Große blaue Tücher, üppig besetzt mit silbern durchwirkten Brokatstreifen, verhängen die Fenster des Palazzo Fortuny. Wie Wellen, von einer leichten Brise bewegt, fließen die Stoffe an der Fassade entlang. Architektur und Wasser bezeichnet Greenaway im Gespräch als wesentliche Elemente seiner Filme und so auch hier, wenn er diesen Palazzo „mit weiblicher Architektur“ einkleidet.

Die äußere Kühle wird im Innenhof durch warmes Rot abgelöst, Samtstoffe vor allem, jetzt aber verziert mit Goldbrokat. Kaum hat sich der Blick satt gesehen, folgt im Inneren des Gebäudes eine Flut von Eindrücken. Die schattigen Räume schmeicheln dem Auge, das erst nach und nach die Vielzahl kostbarer Schätze entdeckt, die Greenaway in seinem Dialog mit dem Künstler, Textildesigner und Forscher Mariano Fortuny (1871-1941) bewußt so ausbreitet, als habe Fortuny gerade den Raum verlassen. Wie in seinen Filmen hat Greenaway in der von ihm arrangierten Symmetrie visueller Genüsse nichts ausgelassen. Aber: „Kino hat keine materielle Substanz. Wir können nicht nach rechts rücken, um den Eßtisch von der Südseite zu sehen.“ Um diesem „unglücklichen Umstand“ abzuhelfen, möchte er mit „Watching Water“ die Grenzen des Kinos überschreiten und dem Betrachter ermöglichen, als „eigene live-camera“ die Räume zu durchstreifen und mit der Lust am eigenschöpferischen Bild die beim Film vom Regisseur bestimmten Perspektiven zu ergänzen.

Dem großen, opulent bestückten Trakt auf der einen Seite korrespondieren auf der anderen kleinere, kargere Räume, in denen Greenaway auf die Bedeutung des Wassers in seinen Werken hinweist. Neben Zeichnungen und visuellen Drehbüchern werden Filme gezeigt: von „Interval“ (1969), einer frühen Arbeit über Venedig unter Vermeidung jeglicher bildlicher Referenz an Wasser, bis hin zu „Prospero's Books“ (1991). „Der Ursprung des Projekts ist Text – das Resultat ein Bild.“ Durch die elektronische Bearbeitung des Films mit der Paintbox sind Text und Bild zusammengeführt, wird der Text selbst zum Bild. Kaum ein künstlerisches Medium ist so abhängig von der Elektrizität wie der Film. „Die Bilder der Welt erhalten wir durch die Bewegung eines Schalters – zieht man den Stecker raus, sind wir blind.“ Während in den Eingangszimmern Wasser durch akustische Einspielungen präsentiert ist, ergänzt Greenaway die Klänge in den anschließenden fensterlosen Räumen tatsächlich mit Wasser. Neben den Monitoren plaziert er Aquarien, deren Oberfläche mit reflektierenden Körnchen bestäubt ist: Bilderfluß und Wasserstillstand als Kontrast. „Bewegtes Wasser“ erzeugt er elektrisch als Lichtreflexe an den Wänden.

Wer von Greenaway nur überströmende Fülle erwartet, findet sich im Unterdeck, dem letzten Raum des Palazzo, durch einen Saal von unerwarteter Leere überrascht. Hier erfüllt sich „Watching Water“, fließen alle architektonischen, visuellen und akustischen Elemente der Inszenierung zusammen. Der riesige Saal enthält an den Schmalseiten zwei Bassins. Gleichzeitig flutet Wasser – optisch erzeugt durch vor den Lichtquellen rotierende Scheiben – als Komposition von Lichtphasen in gleichmäßigen Wellen über den Boden und die an den Wänden aufgehängten Gemälde mit abstrahierten Oberkörpern, begleitet von einem ruhig pulsierenden Schlagen. Der Körper besteht zu 90 Prozent aus Wasser: „Der Körper ist wie ein Palast, ins Wasser gebaut und durch Luft belebt.“

Wo Greenaway mit dem Zuschauer als „live-camera“ das Kino um die Multiplizität der Perspektive erweitert, reduziert es Jarman mit einem Film, der zum Bild wird: Blau, eineinhalb Stunden eine blaue Leinwand. „Endlich erlöst vom Bild“, sagt Derek Jarman über seinen monochromen Film, der durch die Radikalität beeindruckt, mit der er die fiktive Bildwelt des Kinos verabschiedet. Was bleibt, ist eine Farbe, sind Klänge und Sprache – wie in einem Hörspiel. Es ist ein Film über Aids von einem Betroffenen. „Der Virus ist unsichtbar, blau entspricht ihm am ehesten.“ Blau als die Farbe der Krankheit. Der gesprochene Wortlaut des Films basiert auf Tagebüchern und Gedichten Jarmans, die er mit theoretischen Texten des Malers Yves Klein verbindet. Mal flüsternd, mal getragen, mal unbeteiligt, mal affektiv erzählt Jarman von Stadien, Behandlungsmethoden und Auswirkungen seiner Krankheit. Der Film ist eine Meditation über Sterben und Kunst, rhythmisch unterbrochen von Klängen – Wasser, Wind, Tiere, Straße – und dem Gesang „Walk Away From Illness“. Blau ist auch die Farbe der Ferne, wie sie textuelle Bezüge zu den Reisen Marco Polos herstellt. „Blau ist die Landschaft der Freiheit. ... Vielleicht können ein paar Bilder in einem Gewölbe (vault) zukünftig glauben machen, daß es mehr gibt als das Auge sieht.“ In „vault“ – „Sterngewölbe“ und „Gruft“ zugleich – verbindet Jarman die Unendlichkeit des Himmels mit Körper und Leinwand: „The colour of my inner room is blue.“ Beide, Jarman und Greenaway, bleiben auf den Körper bezogen: als architektonisches Gebilde und als Körper aus Licht.