Die Leichen in General Babangidas Keller

■ Wie Nigerias Präsident an die Macht geriet – und wie er die Spuren verwischte

Berlin (taz) – Warum macht Nigerias Präsident, General Ibrahim Babangida, die versprochene Machtübergabe an eine zivile Regierung so schwer? Als am 12. Juni endlich die mehrfach verzögerten Präsidentschaftswahlen stattfanden, schien die Demokratisierung gesichert; nun jedoch hat Babangida die Wahlen für ungültig erklärt und Neuwahlen angesetzt, zu denen – fürchten manche – er selber kandidieren könnte.

Zwar hatten beide Präsidentschaftskandidaten zugesichert, bei einer eventuellen Machtübernahme keine Untersuchungen über die dunklen Praktiken der Militärjunta durchzuführen. Doch nach wie vor scheint Babangida die Angst in den Knochen zu sitzen, daß die Umstände und Folgen seiner Machtergreifung im Jahre 1985 doch noch eines Tages Gegenstand einer nigerianischen Vergangenheitsbewältigung werden könnten.Babangidas Aufstieg begann im Jahre 1983, als die Zivilregierung des gewählten Präsidenten Shehu Shagari vom Militär gestürzt wurde. General Mohammad Buhari wurde Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. General Ibrahim Babangida wurde Heereschef und galt fortan als „starker Mann“ des nigerianischen Militärs.Im Jahre 1985 leitete der Leutnant Dan Acheanpong Informationen an den Generalstab, wonach Babangida in großem Maßstab in den internationalen Drogenhandel verwickelt sei. Der staatliche Sicherheitsdienst „Nigeria Security Organization“ (NSO) begann daraufhin, Nachforschungen über diese Anschuldigungen anzustellen. So wurde der Fall einer Miss Gloria Okon ermittelt – eine Aktivistin der staatlichen nigerianischen Frauenliga, die im Jahre 1984 am nigerianischen Flughafen Muutara beim versuchten Abflug nach New York mit einem Koffer voller harter Drogen verhaftet wurde. Der NSO wies nach, daß Babangida die Reise Gloria Okons arrangiert hatte.

Die Staatsführung beschloß dann, Babangida von seinen Ämtern abzusetzen und wegen Handels mit harten Drogen anzuklagen. Am 27. August 1985 putschte Babangida, setzte Buhari ab und erklärte sich zum Staats- und Generalstabschef.

Unmittelbar nach seiner Machtübernahme entmachtete Babangida den NSO-Geheimdienst und bildete einen neuen „Staatssicherheitsdienst“ (State Security Service – SSS). Er setzte die geltende Todesstrafe für Drogenkuriere außer Kraft; ein neues Gesetz wurde beschlossen, das nun Haft vorsah.

Noch vor diesen beiden Maßnahmen allerdings wurde die angebliche Drogenkurierin Gloria Okon, die zuvor zum Tod durch Erschießen verurteilt worden war, in ihrer Gefängniszelle tot aufgefunden. Zuvor hatte sie öffentlich erklärt, sie wolle vor ihrer Hinrichtung die Hintermänner ihrer Drogenmission aufdecken.

Die falsche Drogenkurierin

So weit, so gut: Babangida schien sich durchgesetzt zu haben. Im Jahre 1986 jedoch wurde die angeblich tote Gloria Okon quicklebendig in den Niederlanden aufgefunden – von Dele Giwa, Chefredakteur des renommierten Magazins Newswatch.

Dele Giwa hatte ebenfalls über den Fall Gloria Okon und Babangidas Verwicklungen mit dem Drogenhandel recherchiert. Er fand heraus: Die Frau, die in der Todeszelle tot aufgefunden wurde, war nicht Gloria Okon. Die Leiche einer anderen jungen Frau war in die Zelle geschafft worden, Gloria Okon wurde dagegen außer Landes geflogen – mit der Zusicherung, daß sie schweigen werde.

Dele Giwa traf Gloria Okon im Frühjahr 1986 in den USA, wohin sie inzwischen gereist war. Bei der Rückkehr nach Nigeria wartete eine Überraschung auf ihn: Babangida bot ihm den Eintritt in sein Kabinett als Informationsminister an. Offensichtlich hatte Gloria Okon vor ihrer Zusammenkunft mit Giwa aus Angst die nigerianischen Behörden informiert, und die Regierung wollte mit ihrem Angebot sein Schweigen kaufen.

Dele Giwa lehnte den Ministerposten ab. Im Oktober 1986 erhielt er eine Aufforderung des Sicherheitsdienstes SSS, sich in deren Hauptquartier zu einem Verhör einzufinden. Zwei SSS-Beamte warfen ihm bei dem Verhör Verstrickungen in Waffenschmuggel vor und beschuldigten ihn, er wolle das Babangida-Regime stürzen. Dele Giwa wies diese Anschuldigungen vehement zurück und benachrichtigte nach dem Verhör sofort seinen Anwalt Gani Fawehinmi, einer der prominentesten Bürgerrechtler Nigerias.

Wer tötete Dele Giwa?

Wenige Tage später saß Dele Giwa zusammen mit seiner Frau und dem Londoner Korrespondenten von Newswatch in seinem Haus und diskutierte den Fortgang der Recherche über den Staatspräsidenten, als ein Peugeot 504 vorfuhr und einige Leute mit einem großen Briefumschlag ausstiegen. Die Herren, anscheinend von einem privaten Postzustelldienst, drückten Dele Giwas Sohn den Umschlag in die Hände und forderten ihn auf, den Brief seinem Vater zu geben, was der auch getreulich tat – nicht ahnend, daß er damit seinem Vater den Tod bringen würde.

Dele Giwa nahm den Brief entgegen mit den Worten: „Das muß vom Präsidenten sein.“ Als er den Umschlag öffnete, detonierte die darin enthaltene Briefbombe; Dele Giwa war auf der Stelle tot.

Nach dem Mord herrschte in der Militärjunta große Nervosität – es gab ja schließlich Überlebende. Präsident Babangida reiste für einen Monat nach Paris, angeblich um eine Wunde behandeln zu lassen, die er sich im Biafrakrieg 1969–72 zugezogen hatte. Nach einem Monat kehrte Babangida zurück und dankte in einer Rundfunkansprache seiner Frau und seinem Geheimdienst SSS „für ihre gute Arbeit“.Der SSS war natürlich sofort ins Visier als Mordverdächtiger geraten. Dele Giwas Rechtsanwalt Fawehinmi beantragte, eigene Untersuchungen anstellen zu dürfen, und äußerte aufgrund des kurz vor Giwas Tod erfolgten SSS-Verhörs die Vermutung, der SSS und damit Babangida stünden hinter dem Mord. Die Regierung stritt alles ab – sogar das Verhör. Die beiden SSS-Mitarbeiter, die von Fawehinmi als Verhörer genannt wurden, verklagten ihn wegen Beleidigung; Fawehinmi wurde zu einer Geldstrafe von 10 Millionen Naira verklagt und bekam das Recht abgesprochen, den Mord an Dele Giwa weiter zu untersuchen.

Die Regierung hatte unterdessen angekündigt, eigene Untersuchungen zum Tod Dele Giwas durchführen zu lassen, und damit ausgerechnet den SSS selber beauftragt. Bis heute wurde vom SSS weder ein Zwischen- noch ein Abschlußbericht, noch sonst irgendein Untersuchungsergebnis veröffentlicht. Golo Kohl