Schwarzer Galgen statt „weißer Tod“

Seit der Präsidentschaftswahl bläst Irans Regierung zu einem neuen Feldzug gegen Opium und Heroin / Massenverhaftungen und Hinrichtungen sollen das „Ungeziefer“ ausrotten  ■ Von Ahmed Taheri

Berlin (taz) – Kaum ist Ali Akbar Rafsandschani erneut zum Staatspräsidenten Irans gewählt worden, da bläst er zum Kampf gegen die Drogen – offenbar bemüht, seinem Ruf als Mann der Tat Rechnung zu tragen. Bei einem landesweiten Einsatz verhafteten letzte Woche die iranischen Rauschgiftfahnder mehr als 9.000 Menschen. Etwa tausend der Verhafteten sind Drogenhändler, der Rest Drogenkonsumenten. Viele von ihnen erwartet der Galgen. Laut einem Gesetz vom Januar 1989 droht jedem, der mit mehr als fünf Kilogramm Opium oder 30 Gramm Heroin erwischt wird, die Todesstrafe. Aufgrund dieser Bestimmung wurden zwischen 1989 und 1992 mehr als 2.000 Delinquenten hingerichtet. „In keinem Land der Erde“, frohlockte die Teheraner Zeitung Etelaat, „wird das Geschäft mit dem Tod so konsequent bekämpft wie in der Islamischen Republik.“

Lob ernteten die iranischen Fahnder auch im Ausland. Ihr Chef Reza Saifolah, Brigadegeneral und einer der wichtigsten Kommandanten der „Pasdaran“ (Revolutionswächter), ist seit März diesen Jahres stellvertretender Vorsitzender der UNO-Antidrogenkommission. Doch die drakonischen Strafen Teherans haben es bis jetzt nicht vermocht, der im Lande um sich greifenden Drogensucht Einhalt zu gebieten. In feineren Kreisen gehört heute der Opiumgenuß zum guten Ton. Auch manche Kleriker, wie etwa Ahmad Chomeini, Sohn des verstorbenen Revolutionsführers, sollen sich am dunkelbraunen Stoff berauschen.

Den umständlichen Genuß der Opiumpfeife mit dem verräterischen süßlich-schweren Duft kann sich das gemeine Volk dagegen nicht leisten. Es schnupft lieber das leicht versteckbare Heroin. Unter dem Schahregime noch ein Laster der städtischen Jugend lumpenproletarischer Herkunft, hat sich gard, „der Staub“, wie Heroin im Volksmund genannt wird, inzwischen bis in die entlegensten Dörfer ausgebreitet. „Erschwinglich in unserem islamischen Vaterland“, schrieb die iranische Zeitung Keyhan nicht ohne Häme, „ist nur der weiße Tod.“

Angebaut wird der Mohn, aus dem Opium und letztlich Heroin gewonnen werden, schon lange nicht mehr im Lande. Doch um Nachschub brauchen sich die iranischen Junkies keine Sorgen zu machen. Über die durchlässige Grenze zu Afghanistan kommt täglich tonnenweise Opium. Über das pakistanische Balutschistan schmuggeln die Nomaden sackweise Heroin aus den Labors im freien Stammesgebiet im Norden Pakistans. Direkt ab Labor wird dort ein Kilo Heroin für umgerechnet etwa tausend Mark verkauft. In der Provinzhauptstadt Peschawar weiterverkauft, beträgt der Preis bereits 2.000 Mark. Dreimal soviel dürfte es im Iran selbst kosten.

Iran war lange eines der führenden Länder im Opiumanbau. Fast in allen Teilen des Kaiserreichs erblühte die Erde im April rot von Mohnblumen. Die Milch, aus der eingeritzten Mohnkapsel gewonnen, war – geraucht oder gegessen – die beliebte Volksdroge. Erst Ende der sechziger Jahre verbot der Schah auf Drängen der USA das einträgliche Geschäft. Doch der Kaiser, dessen Vater Reza Schah dem Opium verfallen war, hatte Erbarmen mit seinen süchtigen Landeskindern: Mit ärztlichem Rezept konnten nun die Taryakis, die Opiumraucher, ihre monatliche Ration in den Apotheken günstig erhalten.

Im Koran stünde kein Wort über das Verbot der Opiate, meinten nach dem Sieg der islamischen Revolution die Bauern. Und so blühte wieder der Mohn im Lande. Doch es dauerte nicht lange, bis Ayatollah Chomeini, ein Mann der Verbote, Anbau, Handel und Genuß der Narkotica untersagte. Auf Geheiß des Imam zog der berüchtigte Blutrichter Scheich Khalkhali gegen die Dealer und Junkies zu Felde. Die ersteren ließ er hinrichten, die letzteren in sogenannte Entzugslager einsperren, „auf daß die islamische Erde von Ungeziefer rein bleibe“.

Seitdem gehört der Drogenkrieg zur Lieblingsbeschäftigung der Mullahs. Nach Ansicht der Exilopposition indes ist das Ziel der Drogenbekämpfung nicht nur eine Ablenkung von den wirtschaftlichen und politischen Problemen, sondern werden unter der Anklage des Drogenhandels auch die Opponenten des Regimes liquidiert. Amnesty international äußerte den Verdacht, eine Reihe der politischen Widersacher der Mullahs seien als Drogenhändler hingerichtet worden. Hinter derlei Beschuldigungen steht für Teheran aber zweifelsfrei die Drogenmafia.

Wie dem auch immer sei – jedesmal, wenn die Klerikalenherrschaft aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen in Bedrängnis gerät, läßt sie „einen Elefanten hochgehen“, wie die Iraner solche Spektakel bezeichnen. Mal richten sich die spektakulären Maßnahmen gegen die religiösen Minderheiten, wie die Bahai, mal gegen die Frauen oder auch gegen die verwestlichten Intellektuellen, mal gegen die Preisspekulanten und öfter gegen die Drogenhändler. Die neue Kampagne soll offenbar vom Prestigeverlust Rafsandschanis, der bei den kürzlich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen weit weniger Stimmen bekam als vor vier Jahren, ablenken und das durch die wirtschaftliche Misere unzufrieden gewordene Volk einschüchtern.