Nur schwacher Protest der sozial Schwachen

■ Einen massenhaften Protest der von den Kürzungen am stärksten betroffenen Gruppen braucht die Regierung Kohl nach ihren Beschlüssen kaum zu fürchten

Daß mit den Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern jetzt ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft die größten Sparopfer nach dem Willen der Bundesregierung bringen sollen, hängt gewiß mit deren organisatorischer Schwäche zusammen. Ein massenhafter Protest der Millionen von Sozialhilfeempfängern steht für die Kohl-Regierung ebensowenig zu befürchten wie ein Aufstand aus den Reihen der Arbeitslosen. Dafür sprechen die Erfahrungen der vergangenen Jahre.

Der Aufschrei kam ja in der Vergangenheit nie von den Ärmsten der Armen, sondern die lautesten Klagelieder stimmten andere an. Durchschnittlich 240.000 Mark im Jahr verdienende Zahnärzte wußten sich bei drohenden Einbußen allemal besser in Szene zu setzten als jene, die an der Armutsgrenze leben.

Daran vermögen auch der wortradikale Protest des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Kritik aus kirchlichen Kreisen nicht viel zu ändern. „Seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre wurde noch nie so massiv in die Leistungen für Arbeitslose eingegriffen“, erklärte gestern die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer vor Journalisten in Bonn. Und was gedenkt der DGB, dagegen zu tun? Er schließt eine Verfassungsklage in Karlsruhe nicht aus! Durch die Kürzungen seien die „Eigentumsrechte“ der Leistungsempfänger, die diese sich durch jahrzehntelange Beitragszahlung erworben hätten, möglicherweise tangiert. Eine juristische Prüfung sei deshalb nötig. Große Zuversicht, die Kürzungen für die Schwächsten politisch noch verhindern zu können, hegt der Gewerkschaftsbund offenbar nicht.

Auch die Evangelische Kirche bemüht das Grundgesetz. Die Kürzungen stünden im „Widerspruch zu der Sozialstaatsverpflichtung des Grundgesetzes“, erklärte der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland für Fragen der Arbeitslosigkeit, Pastor Eduard Wörmann. Aufgabe einer dem Grundgesetz verpflichteten Politik sei es, für eine gerechtere Sozialordnung in Deutschland zu sorgen. Dieser Grundsatz werde durch die jüngsten Beschlüsse verletzt. Von größeren eigenständigen Initiativen gegen den Regierungskurs war gestern weder bei den Kirchen noch den Gewerkschaften etwas zu hören. Auch die Betroffenen selbst blieben weitgehend stumm.

Vielfältige Aktionen am „Weltspartag“

Sicher ist, daß der von den gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen für den 29. Oktober schon seit längerem geplante Aktionstag auf die jüngsten Beschlüsse eingehen wird. Die Arbeitsloseninitiativen wollen im Oktober durch vielfältige Aktionen den Weltspartag in einen „Tag der Arbeitslosen“ umwandeln.

Daran werden sich nach den Worten von Dieter Rothardt, der bei der Evangelischen Kirche von Westfalen für die Betreuung von etwa 80 Arbeitsloseninitiativen zuständig ist, gewiß auch kirchliche Gruppen beteiligen. Rothardt räumt ein, daß die „vielfältigen Novellierungen der entsprechenden Gesetze“ in den vergangenen Jahren bei den Betroffenen den Eindruck hinterlassen haben: Was wir auch tun, die da oben machen eh, was sie wollen. Die offizielle Politik, die immer weniger auf demokratische Beteiligung setze, sei für diese „Desillusionierung“ verantwortlich.

Ob es weitere bundesweite Aktionen von den Betroffenen selbst geben wird, steht dahin. Von Selbsthilfeorganisationen wie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen war gestern nichts zu erfahren. Die im letzten Jahr am 17. Juni in Bonn auf Initiative Hamburger Gruppen durchgeführte Demonstration „Für die Rücknahme der ABM-Kürzungen und gegen Sozialabbau“ bietet nicht gerade Anlaß für übertriebene Hoffnungen. Kaum mehr als 500 Menschen beteiligten sich daran. Walter Jakobs