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Trübe Aussichten für die Nordsee

■ Einleiterkataster deckt Defizite im bundesdeutschen Umweltrecht auf   Von Sven-Michael Veit

Es gab Fälle, da hat sie bei den Behörden nachgefragt, ob es sich denn wirklich um den aktuell gültigen Bescheid handele, sagt Sabine Winteler. „Doch, doch“, hat sie jedesmal zur Antwort erhalten. Neun Firmen an der bundesdeutschen Nordseeküste, so das Ergebnis ihrer Recherche, leiten schadstoffhaltiges Abwasser in das Meer aufgrund von amtlichen Bewilligungsbescheiden, die älter als acht Jahre sind. „Mit Umweltschutz nach den heutigen technischen Möglichkeiten hat das nichts mehr zu tun“, resümiert Sabine Winteler. Und mit der Rechtslage auch nicht.

Sie und ihre Kollegin Helga Neumann-Henseler vom Hamburger Umweltinstitut Ökopol haben im Auftrag des Bremer World Wide Fund For Nature (WWF) das „Einleiterkataster Deutsche Nordseeküste“ erstellt. Untersucht wurde nicht „die tägliche Einleitungs-Praxis“, also die tatsächliche Giftmenge, die in Nordsee, Elbe oder Weser eingeleitet wird. Die Umsetzung von EG-Richtlinien und Beschlüssen der Internationalen Nordsee-Konferenzen in bundesdeutsches Recht stand auf dem Prüfstand. Die Theorie mithin, und die ist grau.

Das Ökopol-Gutachten hat, so WWF-Projektleiter / Nordsee Stephan Lutter gestern bei der Vorstellung des 100 Seiten starken Werks, „erhebliche und schwerwiegende Defizite“ festgestellt. Es gebe „erhebliche Diskrepanzen“ zwischen der Rechtslage „vor Ort“ und den mit viel Publicity von der Polit-Prominenz der Öffentlichkeit verkauften Konferenz-Beschlüssen. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

-Einleitungsbescheide sind häufig überaltet, entsprechen nicht dem Stand der Technik und oft nicht einmal verbindlichen internationalen Beschlüssen.

-Für die chemische Industrie gibt es noch immer keine verbindlichen Abwasserverwaltungsvorschriften.

-Der Beschluß der Nordseekonferenz 1990, innerhalb von fünf Jahren die Einleitung von Dioxin, Cadmium, Quecksilber und Blei um 70 Prozent sowie die anderer „gefährlicher Schadstoffe“ um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1985 zu reduzieren, kann nicht überprüft werden: Die erforderlichen Grunddaten von 1985 sind schlicht noch immer nicht erfaßt worden.

-Für kommunale Einleiter, vor allem Klärwerke, wurden bislang keine Grenzwerte für Phosphor- und Stickstoffmengen im Abwasser festgelegt.

-Für etliche giftige Schwermetalle sind in den Abwasservorschriften Niedersachsens und Schleswig-Holsteins keine Grenzwerte festgeschrieben worden, entgegen der Forderung der Nordseekonferenz von 1990.

Insgesamt, so Stephan Lutter, habe die Untersuchung ein „trübes Bild“ zu Tage gefördert. In den zuständigen Länderministerien würden einschlägige internationale Richtlinien und Beschlüsse nur „sehr langsam und zögerlich“ umgesetzt. Gelegentlich könne man sich auch des Eindrucks kaum erwehren, „daß in einigen Behörden die erforderliche Fachkompetenz nicht unbedingt vorhanden ist“.

Im nächsten Schritt will der WWF die behördliche Überwachung der Betriebe und Einleitungsbescheide kontrollieren. Denn die entscheidende Frage, wie es „tatsächlich am Rohr“ aussieht, harrt noch ihrer Beantwortung.

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