Willkür am Airport Tegel

■ Trotz gültiger Papiere und Asylantrag: BGS schickt Familie aus Afghanistan nach Moskau zurück / UNHCR eingeschaltet

Gestern nacht trat das neue Asylgesetz in Kraft. Ab sofort sind 3.194 Beamte an den deutschen Ostgrenzen damit beschäftigt, Flüchtlinge wieder zurückzuschieben. Nur Ausländer mit gültigen Reisepapieren dürfen rein, so steht es in den Vorschriften. Daß diese aber nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind, beweist ein Fall, der sich letzte Woche abspielte, Tage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes. Inzwischen beschäftigt sich auch der UNHCR, der Flüchtlingskommissar der UNO, mit der Angelegenheit.

Am Morgen des 24. Juni schoben Bundesgrenzschützer am Flughafen Schönefeld eine aus Moskau kommende achtköpfige afghanische Familie nach Moskau zurück, obwohl diese ein gültiges Besuchervisum für Deutschland plus 1.000 Dollar Reisekosten hatte, obwohl sie bei der Einreise einen Asylantrag stellten und obwohl Rußland weder nach altem noch nach neuem Recht ein „sicheres Drittland“ ist. „Ein unglaublicher Skandal“, sagt Katharina Vogt, Flüchtlingsberaterin bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), „ein Vorgriff auf das, was uns ab dem 1.Juli blüht.“ Die Abschiebung bestätigte gestern Polizeirat Hötzel, Sachbereichsleiter beim Bundesgrenzschutz, mit den Worten: „Es hatte alles seine Ordnung.“

Die Familie kam am Mittwoch, 23. Juni um 16.10 Uhr mit einer Maschine der British Airways (BA) am Flughafen Tegel an. Die Einreise wurde ihr verweigert, weil das Besuchervisum nur bis zum 30.Juni galt und sie, laut Hötzel „zuviel Gepäck und zuwenig Geld für eine touristische Reise besaßen“. Zudem sei unter der von Familienvater Mir H. angegebenen Telefonnummer des Gastgebers – in Köln lebende Verwandte – „niemand erreichbar gewesen“. Für die Beamten ein Indiz, daß die Familie ihr Touristenvisum mißbrauchen wollte. Während die Beamten telefonierten, standen die Gastgeber in der Flughafenhalle und beobachteten die Familie durch die Glasscheibe. Ihre Beschwerden nahm am Schalter niemand ernst.

Weil die BGS-Beamten das in Moskau ausgestellte gültige Besuchervisum nicht akzeptierten, stellte Mir H. noch im Transit von Tegel, für sich und seine Familie einen Asylantrag. Er sei Mitglied der Volksdemokratischen Partei Afghanistans gewesen, im Februar 1992 von den Mullahs verhaftet und gefoltert worden. Obwohl die Anerkennungsrate von afghanischen Flüchtlingen im Asylverfahren bei über 40 Prozent liegt, akzeptierten die Bundesgrenzschützer das Asylbegehren nicht. Mit der Begründung, daß Mir H. in Moskau eine „feste Adresse“ habe und deshalb nach Paragraph 27 des alten und neuen Asylgesetzes im Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher sei, packten die Beamten die Familie in einen Bus und transportierten sie nach Schönefeld. Am nächsten Morgen um 8.10 Uhr startete die BA-Maschine mit ihnen wieder nach Moskau.

Bekannt wurde dieser spektakuläre Fall, weil die Verwandten von Mir H. die AWO benachrichtigten und die wiederum den UNO-Flüchtlingskommissar in Köln. Und diesem gelang es am 25.Juni gerade noch, die Familie vor einer weiteren Abschiebung nach Afghanistan zu bewahren. Weil die für den BGS so wichtige Moskauer „feste Adresse“ nur ein Unterschlupf bei Bekannten war (was Mir H. hier nicht geglaubt wurde) und die Familie keine gültige Aufenthaltserlaubnis für Rußland besaß, wollten die Moskauer Grenzschützer die Familie ebenfalls ganz fix loswerden. Dem von Kölner Kollegen benachrichtigten UNO-Flüchtlingskommissar in Moskau gelang es, die acht Afghanen Stunden vor dem Zwangsabflug nach Kabul aus dem Moskauer Flughafen zu eisen. Er hat eine Vollmacht von Mir H. an einen Berliner Rechtsanwalt geschickt, der jetzt beim Verwaltungsgericht Berlin einen „Antrag auf Wiedereinreise“ gestellt hat. Anita Kugler