Somnamboulevard – Poststellige Fünfleitzahlen Von Micky Remann

Als der Missionar von seiner schweren Arbeit nach Hause kam – er hatte gerade einen Haufen Hamster konfirmiert – war er nicht wenig überrascht, im Briefkasten neben der Werbebroschüre eines Versandhauses für modernen Bischofsbedarf einen in Melanesien abgestempelten Umschlag vorzufinden.

Wie er sich auf Anhieb denken konnte, und der Anhieb bestätigte sich, stammte der Brief von jener damals vergeblich angebeteten Häuptlingstochter, der er zwar etliche Schmalz- und Schmollbriefe nachgeschickt hatte, welche aber sämtlich unbeantwortet geblieben waren. Um so erregter machte ihn dieser Schrieb, den er der Länge nach auf dem Flokatiteppich ausgestreckt, jetzt las.

„Wie du sicher einsehen wirst“, schrieb ihm die schöne Häuptlingstochter, „mußte ich mit der Antwort auf deine vielen Schreiben bis zur Einführung der neuen Postleitzahlen warten, weil die in einem Akt der somnambulen Oratio ex nihilo erst im Schlaf erfunden werden mußten, also aus dem Bereich des Ungesehenen in den Bereich des Gesehenen geerntet werden wie reife Kirschen vom Baum, und zwar in Melanesien, und zwar von mir, es war so, daß ich im Traum meinen alten Hamster Escha Tolo channelte, der mir mittels einer astralen Lottoziehungsmaschine alle Postleitzahlen offenbarte, und das ist ein Postgeheimnis, das euren Postboten wie auch dem Postpublikum bislang verschwiegen wurde.

Weil nun mein Unterbewußtsein Tag und Nacht damit beschäftigt war, die neuesten Unterkombinationen nach gesamtdeutschen postbedarfsmäßigen, aber auch numerologischen Gesichtspunkten erst zu erträumen und dann dem zuständigen Minister seine Amts-Synapsen zu faxen, geriet mein anderweitig unerledigter Korrespondenzberg ins Hintertreffen, man kann auch sagen: Er wurde größer.

Jetzt, da die Angelegenheit erfolgreich erledigt ist, kann ich dir wieder schreiben, denn, wie du weißt, hat lange vor der Buchmesse das neue Postleitzahlenbuch eine Auflage erzielt, auf die ich als seine Autorin wahrlich stolz sein kann. Andere meiner Publikationen, etwa die melanesische Liebesgedichtsammlung „Und so errötet die Kokosnuß“, können da ja nicht annähernd mithalten. Ich hoffe nur, daß mit dem Postleitzahlenbuch weltweit ein Präzedenzfall geschaffen ist, der auch für andere astrokabbalogische Werke Maßstabscharakter hat. Denn dies ist gewiß und kann ich dir nachdrücklich bestätigen: Keine der neue poststelligen Fünfleitzahlen ist von Escha Tolo oder mir beliebig gewählt oder behäbig zusammengeträumt worden, jede drückt eine ordentliche mathematische T-Raum-Formel des Ortsgeistes aus, eine kosmische Schwingungsfrequenz des jeweiligen Zustellbezirks, die für alle, die sie im Schlaf beherrschen, von schonungslosem Offenbarungswert ist.

Du kannst das anhand deiner eigenen Postleitzahl jetzt gleich nachprüfen. Ich schließe hier, da ich zu entspannt zum Weiterschreiben bin. Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab' ich geschlafen? Gute Nacht! Deine Häuptlingstochter.“

Den Rest des Tages verbrachte der sehnende Missionar verständlicherweise mit der Exegese der Postleitbibel.