Seit null Uhr wird zurückgeschoben

■ Heute tritt der sogenannte „Asylkompromiß“ in Kraft, nach dem Verfolgte nur noch auf internationalen Flughäfen und in Häfen Asyl beantragen können / Was Flüchtlinge an den Grenzen erwartet und wie sich die Bundesländer vorbereiten

Ganz Deutschland (taz/AP) – Seit letzter Nacht ist es soweit: die Bundesrepublik vollzieht die „Ergänzung“ von Artikel 16 des Grundgesetzes (Politisch Verfolgte genießen Asylrecht), die Ende Mai im Bundestag verabschiedet wurde. (Die taz dokumentierte die namentliche Abstimmung; die Dokumentation kann beim Archiv der taz bestellt werden.) Danach können Flüchtlinge, die über sogenannte „sichere Drittstaaten“ einreisen, kein Asyl beantragen.

Auf der Liste dieser sicheren Drittstaaten stehen automatisch alle EG-Staaten, außerdem derzeit Polen, die Schweiz, Österreich und die Tschechische Republik – damit also alle Staaten, aus denen man auf dem Landwege in die BRD einreisen kann. Als sichere Herkunfts- beziehungsweise Drittstaaten gelten außerdem Bulgarien, Finnland, Gambia, Ghana, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden, Senegal, die Slowakische Republik und Ungarn. Wer aus einem sicheren Herkunftsland einreist, soll auf dem Flughafen selbst untergebracht und von dort aus direkt wieder abgeschoben werden.

Die Abschiebung über einen sicheren Drittstaat kann von den Verwaltungsgerichten nicht aufgehalten werden, AsylbewerberInnen müssen aus dem Ausland klagen.

Nur wer am Flughafen nachweisen kann, daß er nicht aus einem sicheren Herkunftsland stammt und nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, wird in das Asylbewerberverfahren aufgenommen und in die entsprechenden Unterkünfte in den Bundesländern gebracht. Für die bislang allermeisten – die nämlich ihre Herkunft mit gültigen Papieren nicht belegen können oder wollen – gilt das auf maximal 19 Tage verkürzte „Flughafenverfahren“. In dieser Zeit dürfen die Asylsuchenden den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen. Für ihre Unterbringung ist der jeweilige Flughafenbetreiber verantwortlich.

Die voraussichtlich zusätzlich nötigen Plätze für Abschiebehäftlinge sind weniger für diejenigen gedacht, die ab 1. Juli in Deutschland Asyl suchen, als für abgelehnte Altbewerber, die sich weigern, die Bundesrepublik zu verlassen. Noch stehen mehrere hunderttausend Altanträge aus, die jetzt beschleunigt bearbeitet werden und vermutlich überwiegend nicht positiv entschieden werden. (Im Mai lag die Anerkennungsquote bei 2,25 Prozent). Eine in Baden-Württemberg eigens auf Ministerebene eingesetzte Arbeitsgruppe zur schnellen Umsetzung der Asylbeschlüsse entwirft gegenwärtig eine Konzeption für diese Abschiebehaftplätze.

Zum einen gehe es um Sicherheitsfragen, weil sie „ideale Anschlagsobjekte“ wären, erklärte der Innenministeriumssprecher Helmut Zorell. Zum anderen solle aber auch dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß es sich um „neue Konzentrationslager“ handelt.

Wegen Überfüllung der Gefängnisse bemüht sich Niedersachsen bereits seit längerem um die Einrichtung einer Abschiebehaftanstalt in einer Kaserne in Wolfenbüttel. Die Bremer Ausländer- und Justizbehörden haben eine Erhöhung der Zahl der Abschiebeplätze und eine Verdoppelung des Personals der sogenannten Abschiebegruppen der Behörden geplant.

Das Saarland will zusätzlich zur zentralen Aufnahmestelle in Lebach bis zu zehn dezentrale Sammellager mit etwa 2.000 Plätzen errichten. In den Binnenländern Thüringen und Sachsen-Anhalt sind nach Angaben der zuständigen Ministerien bisher keine besonderen Vorbereitungen getroffen worden. Schließlich gebe es auch „keinen internationalen Flughafen“. Auch in Hamburg ist nichts unternommen worden. Ein Sprecher des Flughafens sagte, bislang seien Asylbewerber „eher ein Frankfurter Problem“ gewesen.

In Bayern sind nach Angaben des Innenministeriums 6.000 Plätze „in Erstaufnahmeeinrichtungen“ geschaffen worden. Die Kontrollen an der Grenze zur Tschechischen Republik durch den Bundesgrenzschutz und zu Österreich durch die bayerische Grenzpolizei sollen danach von heute ab massiv verstärkt werden. Was die illegalen EinwanderInnen künftig erwartet, darüber gab eine Pressekonferenz des Grenzschutzpräsidiums Ost Aufschluß:

Man sei auf das Inkrafttreten der Asylrechtsänderung am 1. Juli „technisch und personell vorbereitet“, gibt der Pressesprecher des Grenzschutzpräsidiums Ost bekannt. Für die illegalen Einwanderer entlang der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze sind gegenwärtig 3.194 Beamte und Angestellte tätig. Die Personalstärke hat sich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Die Grenzschutzämter Frankfurt/Oder und Pirna sind nochmals um je eine Hundertschaft verstärkt worden. Die ersten 450 grenzpolizeilichen Unterstützungskäfte haben ihren Dienst bereits aufgenommen. Probleme gibt es, wie es heißt, „nur noch mit den organisatorischen Strukturen an der Grenze sowie dem baulichen Zustand mancher Grenzübergangsstellen“.

Ab heute werden AusländerInnen nur noch mit gültigen Reisepapieren nach Deutschland hereingelassen. Asylsuchende, die aus Polen an die deutsche Grenze kommen, würden wieder dorthin zurückgeschoben, erklärte der stellvertretende Leiter des Grenzschutzamtes. Die Betroffenen würden erkennungsdienstlich behandelt und den Polen übergeben. Das solle maximal einen Tag dauern. Entsprechende Räumlichkeiten seien vorbereitet, Dolmetscher stünden bereit. Auch werde am 31. Juli „die Erprobung der Wärmebild- und Radartechnik an der Grenze abgeschlossen“. Diese Technik habe sich bewährt. Man gehe davon aus, daß sie eingesetzt werde. Bis zu 200 Diensthunde sollen künftig die Streifenposten begleiten. Trotzdem werde das nicht ausreichen, künftig jeden Grenzübertritt zu verhindern.

Seit Jahresbeginn seien über 30.000 Personen illegal nach Deutschland gekommen. Die Dunkelziffer werde auf das Vier- bis Fünffache geschätzt. Die Tendenz zur illegalen Einreise sei aber in den letzten Wochen rückläufig. Gründe könnten die bundesweit gesunkenen Asylzahlen, aber auch die gewachsenen „Auffangerfolge“ des Bundesgrenzschutzes sein.

Tagesthema Seite 3 und eine Reportage von der Neiße auf Seite 11