Sternmarsch nach Außen

■ Soul, Songwriting, Doom und Antonales von Hamburger Gruppen und Labels

The JB Horns: I Like It Like That (Soulciety/ewm)

Maceo Parker und seine beiden Bläser-Kollegen Fred Wesley und Pee Wee Ellis sind in Hamburg längst Garanten für ausufernde Live-Tanzevents. Jährlich kreuzt das Trio hier auf und erklärt den Funk für neu erfunden. Die Section von James Brown, dessen Initialen den Dreien ihren Bandnamen lieh, die aber auch bei George Clinton und Bobby Bird dem Funk die Unterhosen auszogen, hat gemeinsam mit einer Crew aus Londoner Jungspunden ihre Riffs auf die Ebene der Tanz-Moderne gehoben. Crispin Taylor von Galliano, Brand New Heavies-Sängerin Jaye Ella Ruth und andere Musiker aus diesem Umkreis sorgen dafür, daß die elektrische Hochspannung der mittelalten Herren auch für die Neunziger zeugt. Acht Pieces zeigen sie sowohl von einer Marsh-Mellow-Jazz-Seite wie von aller ausgewrungenstem Hard-Funk. Auf von Richard Mazda programmierten Rythmusbeinen singen Maceo und Co auch selber mal ein Ständchen für ihre Musik und erreichen damit, was man vielleicht nie erwartet hätte, durchaus siebte Sphären. „What Goes Around“, „Push“ oder das coole „Chillin' With Fred“ sind durchs Alter gereifte Nummern, wie sie in ihrer groovenden Bilanz von der neuen Generation Beat-Bastler nur höchst selten erreicht wird. Und auch wenn The JB Horns keine Neuerer oder Schmutzfinken mehr sind, ist ihre Arbeit immer noch ein Füllhorn an Inspirationen für ihre zahlreichen Schüler. tlb

Der dritte Sampler von Hamburgs Soul-Hierophanten Soulciety, diesmal im ätzenden Grün, stellt sich ganz ins James-Brown-Partikel-Gewitter. Browns Bläser-Trio um Maceo Parker, The JB Horns, sind ebenso dort vertreten wie seine Backround-Sängerin Vicki Anderson, deren Gatte und Funk-Fetisch Bobby Byrd, sowie deren gemeinsame Kinder in der Band Phunkness. Man hält es eben mit Family bei Soulciety. Von porösem Funk bis zu gelee-artigen Soul-Balladen und toughen Horn-Riffs kann dieser illustre Kreis alles, was afro-amerikanische Schmissigkeit und Lebensgier an Tänzen hervorbringt. Ein anderer Mastermind, Zapp-Hirn Roger Troutman, kehrte für die Compilation mit seinen Brüdern zu ersten gemeinsamen Band-Versuchen in Ohio zurück und reaktivierte ihre damalige Band The Human Body für herzergreifenden Schmalz. Aus der Hamburger Musiker-Bunch sind, wie schon auf Volume 1, rad. und M'Blu Et Moi vertreten. Rose Ann Dimalanta genießt auf den beiden neuen Jazz-Soul-Stücken, die nicht auf ihrer vielgelobten Debüt-LP “radified“ enthalten sind, die Unterstützung der Horn-Section der 70er-Band-Legende Tower Of Power, von „Fuzzer“ Troutman und des Ex-Sly Stone-Bassisten Bobby Vega. M'Blu Et Moi geben eine weitere Kostprobe ihrer Instrumental-Grooves. Am 10. Juli, 22 Uhr, wird im Schöne Aussichten Release gefeiert. tlb

Bernd Begemann: Rezession, Baby! (EfA)

Eingereiht in die 25-Jahr-Feierlichkeiten, mit denen dem Jahr 1968 allenthalben gedacht wird, hat sich der Hamburger Musiker Bernd Begemann mit Liebe und Freiheit (Josef Bachmann erzählt seine Geschichte und erteilt Rudi Dutschke eine bittere Lektion) auf seinem neuem Album Rezession Baby. Aufgenommen in der Küche des Sängers, mit zwei Mikrophonen, einer Beatbox und einer Gitarre, versucht Begemann auf diesem Album seinen Status als Musiker neu zu definieren. Als elektrischer Liedermacher versteht der in Rothenburgsort ansäßige Ex-Frontmann der Antwort sich nun. Eine Rolle, die ihm zu liegen scheint. Seine Lyrik, in denen er auf sehr persönliche Art das Beziehungsleben in der Großstadt, die politischen Fehlentwicklungen in diesem Lande und, was ihn noch alles bewegt, reflektiert, muß sich nun nicht mehr irgendeinem, von außen oktroierten Schema unterordnen. Die Musik hat bei Begemann nunmehr nur noch die Funktion Texte und Botschaften zu transportieren oder in die richtige Stimmung zu setzten. Etwas zu kantig vielleicht seine Rap-Versuche. Aber immer noch besser als das abgelehnte Angebot einer Mayor Company seine Stücke in einem großen Studio noch einmal marktgerecht, neu einzuspielen. Ein Album, das sich zwischen der Tradition angelsächsischer Singer-Songwriter, Chansoniers und deutschen Liedermachern befindet. kader

Eisenvater: ohne Titel (We Bite)

Niemand glaubte dem Gitarristen Markus Lipka so recht, als er und sein Geistesbruder Jim Sudmann sich vor drei Jahren zusammentaten, um mit der Gruppe Eisenvater gegen Mainstream-Pop, den Verlust einfacher Werte und affige Sänger-Tümeleien ins Zivilisations-Feld zu ziehen. Heute, immer noch unter dem Kreuz der Evolution, führt der Weg auch auf der zweiten Platte der Doom-Metaller und Melvins-Verehrer von der Geburt (“Kaiserschnitt“) in befremdende Orten (“Heimat“) zu den mythischen Mundbergen (“Zahn“), bei denen sich Wachstum, Schmerz und Stoffwechsel eine gute Nacht sagen. Eisenvater sprechen nicht vom Alleinsein, sondern von den zu vielen Menschen drumherum, nicht von Selbsthaß sondern von der Kraft, die gehen, reden oder „Erektion“en macht. Gänzlich jeder Effekthascherei abhold, spielt sich das Quartett ohne eine Note zuviel oder eine Pause zuwenig durch seine Stücke und sprengt dabei die Grenzen des brachialen Doom. Lipka/Sudmann haben aus ihren Gitarrenakkorden eine bravouröse Form des Anhebens/Absetzens entwickelt. Schlagzeuger Peter Bellendir kommt ohne weichliche Rolls aus und setzt souverän die nüchternsten Rhythmus-Klopse zwischen die Saitenschläge. Alles, was „dahinter“ liegt, will diese Musik nach vorn, in die Sicht- und Hörbarkeit schieben. Sehr gute Platte, weit entfernt von Literatur.

Mechthild von Leusch: Aith Ochnal. Rungholter Tänze, zweites Buch. (Abraum/Unterm Durchschnitt)

Feen gleiten durch den Nebel, seltsam geformte Stäbe in ihren Händen. Hinter glitzerndem Tau grollen die germanischen Götter in ihren dunklen Grotten. Seltsam leichtfüßig und doch in dumpfem Rhythmus bewegen sich die Abergläubigen. Das sind die Rungholter Tänze. Nach dem „ersten Buch“, betitelt „Ou Wirnith“, erscheint nun auf dem Hamburger Abraum-Label das „zweite Buch“ der Rungholter Tänze. Die tote Musikerin Mechthild von Leusch wird als Schöpferin dieser meisterhaften und hübschen Geräusch-Stückchen angegeben. Ulrich Rehberg, Hamburger Atonal-Aktivist und Chef von Abraum, tritt hier in seiner Funktion als „Sachwalter“ und „Werkmeister“ auf. Die vermeintlichen Tänze Rungholts, der versunkenen heidnischen Insel in der Nordsee, offenbaren trotz ihrer rein elektronischen Substanz ein filigrane Lebendigkeit. Sie klingen niemals brachial, sondern bleiben stets in harmonischen Klanggefilden. Im Gegensatz zum ersten Buch hellt die Soundfärbung merklich auf. Nichtsdestotrotz sei den Fans Mechthild von Leuschs und des Werkbundes das Zweitwerk „Aith Ochnal“ ausdrücklich empfohlen. Schon allein der Cover-Text mit Erläuterungen des „Sachwalters“ Rehberg rechtfertigen wieder den Kauf der Platte.