Durchs Dröhnland
: Zeugnis vom Gesamtkunstwerk

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Bernd Quittkat war mal (oder ist immer noch?) Kunstlehrer und macht Popmusik. Was dem durch eine herkömmliche westdeutsche Sozialisation Gegangenen Gänsehaut verursacht, ist für den annektierten östlichen Teil unserer Republik durchaus üblich. Die standhafte Nichtbeachtung des DDR-Undergrounds durch die staatliche Infrastruktur schaffte eine umfassende Solidarität quer durch die Genres und Szenen, die in allerlei gemeinsamen Projekten mündete, was hin und wieder einen übertriebenen Hang zum Gesamtkunstwerk zur Folge hatte. Die Werke ehedem unterdrückter Künstler an den Wänden jeder frisch eröffneten Kneipe im Prenzlauer Berg legten davon großflächig Zeugnis ab. Oder daß sich Musikanten solch unterschiedlicher Bands wie Oh Yeah Crap!, Tina Has Never Had A Teddy Bear, Drys & Wet und Struggel For Fun zu Pizza Brain zusammenfinden. Der bereits erwähnte Herr Quittkat, treibender Motor des Unternehmens, ehemals Oh Yeah Crap!, dann als De Feixen eher experimentell unterwegs, stellte die Ossi-Supergroup zusammen, um sein Popbedürfnis zu befriedigen. Und das hat sehr viel mit Soul zu tun, die saftigen Bläser bekommen hierbei gute Noten. Einfache Zeilen („You're heart is in my mind“) werden oftmals und eingängig wiederholt. Allerdings ist die Herangehensweise von Pizza Brain an Soul urban und vor allem von der eigenen Vergangenheit als Punkrocker geprägt. Wer selbst nicht drauf kommt, dem helfen Pizza Brain mit den einschlägigen Undertones-Coverversionen. Westliches Anhängsel zum Quittkat-Trust sind inzwischen die Fetenkönige Space Hobos. Gut miteinander bekannt, hat man die erste Platte auf dem Quittkat-Label „le coq“ veröffentlicht. Da macht es gar nichts, daß das Trio einer ganz anderen Tradition frönt. Die Surf- Instrumentals aus den frühen 60ern und einschlägige Filmmusiken sind ihr Plaisier, ihre Spielweise streng rückwärtsgerichtet. Trotz der schneidigen Anzüge nehmen sie sich nicht zu ernst, sondern verdingen sich auch als Partykapelle.

Am 2.7. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

So sieht das dann aus, wenn eines jener Kulturabkommen, unter die Staatschef so gerne und oft ihre Unterschrift setzen, tatsächlich mal mit Leben erfüllt wird. Da entstehen dann solche Festivals wie „Weiße Nächte St. Petersburg – Berlin“, das bereits gestern begann und in dessen Rahmen insgesamt sieben Bands aus Rußland und zwei aus New York auftreten. Was die New Yorker, namentlich Lester Bowie's Heroen von Defunkt und das Tony Hurdle Septett, da zu suchen haben, weiß vielleicht der liebe Gott. Die russischen Bands zeichnen sich – wie zu erwarten – durch eine extreme Bandbreite aus: Von leichtestem Pop bis zu Jazzrock (ja, so was gibt's noch), von schwerblütig bis dummdreist, von „Hat nichts miteinander zu tun“ bis „Fehlt jedes Konzept“. Der Effekt ist derselbe wie in Museen mit ausführlichen Sammlungen: mal sehen, irgend was wird schon dabeisein. Kulturaustausch eben.

Am 2.7. Mythen, Tony Hurdle Deptett und Defunkt, am 3.7. Tamburin und DDT, am 4.7. Televisor und Lyapin Experience, jeweils 20 Uhr im Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte

Früher einmal gab es im Westteil dieser Stadt eine zwar sehr retrospektive, aber auch rege Sixties-Szene, gruppiert um Wolfgang Doebelings Exile-Label. Inzwischen ging daraus der amtierende Senatsrockbeauftragte hervor, und der Rest hat sich wenigstens eine ehrliche Arbeit gesucht. Immerhin gibt es noch die Tumbling Hearts, inklusive Halbakustischer, verträumter Frauenstimme, ein bißchen Country und vor allem viel Western, den wirren Träumen im Kopf, wo Jungs immer Jimmy oder so ähnlich heißen. Schön, doch.

Am 2.7. um 23 Uhr im Ex'n Pop, Mansteinstraße 14, Schöneberg

Irgend was muß ich da falsch verstanden haben. Ich dachte immer, Blues hätte was mit Schlichtheit, mit rohem, unbehauenem Gefühl zu tun. Also genau die Bandbreite von der kaputten Gitarre im Baumwollfeld bis zur urbanen Potenz-Phantasie. The Blues Big Band belehrt mich eines Besseren: 16 Leute stehen da auf der Bühne. Bläser satt, Backgroundchor zu jeder sich bietenden Gelegenheit und so sauber gespielt, daß man Pickel bekommt. Alles hübsch akademisch, da sitzt jeder Ton. Dabei kam Blues mal von „blue note“, also vom falsch spielen. Nun gut, auf so was können nur Deutsche kommen, hier speziell Kassel.

Am 3.7. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg

Nachdem letztes Jahr schon 12.000 den Ku'damm bevölkerten und die einstmals so undergroundige „Love Parade“ samt dazugehöriger House-Musik zum Wirtschaftsfaktor geworden ist, kann man es natürlich nicht einfach damit bewenden lassen. Diesmal gibt es nicht nur die eine anschließende Party, sondern gleich ein gutes Dutzend. So auch „Love 2 Love – The 5th Anniversary Party“ mit den DJs Motte, Sven Väth, Joe Jam, DJ Pierre, George Morell und Jeff Mills.

Am 3.7. des Tags auf dem Kurfürstendamm, ab 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Als sich Anfang der Achtziger die erste Katerstimmung einstellte, Punk irgendwie nicht mehr dasselbe war und Hardcore geboren wurde, fingen einige an, über ideologische Gräben hinweg Metal zu hören – zumindest heimlich. Dort fanden sie die einfachen Klänge, die Punkrock seine Durchschlagskraft gegeben hatten und die mit der Komplexität des HC verlorengegangen war. Nichtsdestotrotz hätten die Gräben nicht größer sein können zu den sexistischen und auch ansonsten ziemlich dumpfbackigen Metallern. Alles änderte sich schlagartig mit Voi Vod, einer kanadischen Band, die unbeleckt von irgendwelchen Szenezusammenhängen die Symbiose möglich machte. Daß daraus mal Metallica und ihr Megaerfolg werden würde, konnte niemand ahnen. Auf jeden Fall verschwanden Voi Vod schon nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung, ohne sich offiziell verabschiedet zu haben. So schnell sie verschwunden waren, so schnell wucherten die Legenden. Angeblich würden die drei in einer klitzekleinen Wohnung vor sich hin vegetieren, ohne Kontakt zur Außenwelt. Das geradezu verzweifelte Warten der Anhängerschaft auf ein Lebenszeichen wurde schließlich Anfang der Neunziger mit neuen Platten belohnt. Und die sind immer noch genauso wirr, abgespacet, grandios wie früher, nur vielleicht inzwischen einen Tick zu perfekt. Und fast eine Dekade geht halt auch nicht spurlos vorbei, aber Pionieren darf man einiges verzeihen.

Am 5.7. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Ich kann sie immer noch nicht leiden, tut mir leid. Sie können noch so intelligente Musik machen, noch so geschickt Sampling mit der eigenen Rockster-Vergangenheit verquicken, noch so ambitioniert diesen Stil mit jenem mischen, noch so tanzbar sein, die Space Cowboys schreiben einfach miese Stücke. Jenseits der akademischen Berechenbarkeit wird da jedwedes Gefühl unter dem Diktat der Beats per Minute zerstampft. Die mieseste Band Berlins und deshalb zu Recht mal mit dem Senatsrockwettbewerbspreis ausgezeichnet.

Am 8.7. um 23 Uhr mit Überraschungsgästen im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg Thomas Winkler