„Giftige Mixturen“ im Bonner Wasserwerk

Der Bundestag debattiert die Pflegeversicherung / SPD kündigt Widerstand im Bundesrat an  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Die Pflegeversicherung hat die erste parlamentarische Hürde genommen, ob und wie sie am Ende verabschiedet wird, bleibt nach der ersten Lesung im Bundestag jedoch offen. Der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung, auf den sich die Koalition nur mit äußerster Mühe hatte verständigen können, kann auf die Zustimmung der SPD-Länder im Bundesrat nicht rechnen. „Was uns die Koalition heute mit ihren Gesetzentwürfen an sozial giftigen Mixturen präsentiert hat, wird das Bundesgesetzblatt so nicht erreichen“, kündigte der stellvertretende SDP-Fraktionschef Rudolf Dreßler an.

Umstritten, und gleichzeitig Gegenstand zarter Winke in Richtung Kompromiß, waren in der gestrigen Debatte vor allem die Karenztage. Keine weitere Steigerung der Lohnnebenkosten, so hatte das Essential der Liberalen von vornherein gelautet: Die FDP mochte sich dem Blüm-Modell einer Pflegeversicherung nach dem Muster der Sozialversicherung nur unter der Bedingung anschließen, daß der Arbeitgeberanteil an den Versicherungsbeiträgen kompensiert wird. Nun sollen die Arbeitnehmer künfig an den ersten beiden Tagen einer Erkrankung keinen Lohn mehr erhalten, höchstens sechs solcher Karenztage pro Jahr soll es geben. Für die SPD eine politische Zumutung schon aus historischen Gründen: Der längste Arbeitskampf der Bundesrepublik drehte sich um Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter. „Dieser Versuch gefährdet den sozialen Frieden. Die SPD wird alles in ihren Kräften Stehende tun, ihn zum Scheitern zu bringen“, drohte Dreßler an.

Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) verteidigte die Karenztage, weil eine andere Kompensationsregelung bislang nicht möglich gewesen sei. Die „Möglichkeit zum Konsens“ sieht er jedoch immer noch. Auch FDP- Fraktionschef Solms sandte eine „Botschaft an die Länder“. Der Vorschlag der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis, die die Streichung von drei Feiertagen vorgeschlagen hatte, sei „sehr mutig“. Die Länder müßten wissen, daß „an einer stabilen Kompensation kein Weg vorbeiführt“. Für die FDP sei es ein sehr schwieriger Prozeß gewesen, diesem Modell zuzustimmen, immer noch hielte seine Partei es für besser, wenn jeder selbst private Vorsorge treffen würde. Die Anbindung an die Lohnnebenkosten sei aus Sicht der FDP „ein gravierender Fehler“. Indessen: „Der Klügere gibt nach.“

Die Pflegeversicherung soll in zwei Stufen, ab Januar 1994 und Januar 1996, eingeführt werden. Die Beiträge, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern anteilig getragen werden, betragen zunächst 1,7 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens. Die Entwicklung der Beitragssätze auf lange Sicht gehört zu den Unwägbarkeiten: Angesichts der demographischen Entwicklung könnten sie schnell explodieren. Für die häusliche Pflege sind Leistungssätze bis zu 1.200 monatlich, für die stationäre bis zu 2.100 DM monatlich vorgesehen.