Die Leiche gibt Auskunft

Der Bericht einer Augenzeugin, nach dem der mutmaßliche RAF-Mann Grams gezielt erschossen wurde, deckt sich mit dem Ergebnis der Obduktion.

Nach den Angaben der Augenzeugin, die dem Fernsehmagazin Monitor den genauen Ablauf der Schießerei vom Sonntag auf dem Bahnhof in Bad Kleinen schilderte, erscheint die von der Bundesanwaltschaft verhängte Nachrichtensperre aus „ermittlungstaktischen Gründen“ in einem völlig anderen Licht. Der Vorsitzende des Bonner Innenausschusses, Bernrath (SPD), hatte noch am Mittwoch den Rücktritt des Generalbundesanwaltes gefordert; wie sein Parteikollege Graf hatte er die „ganz und gar unzureichende und undurchsichtige“ Informationspolitik des obersten Anklägers moniert. Beide hatten vermutet, mit der Nachrichtensperre sollten offensichtliche Unzulänglichkeiten bei der Festnahme in Bad Kleinen vertuscht werden. Den vermutlich wahren Hintergrund konnten beide nicht kennen.

Nach dem Bericht der Augenzeugin muß davon ausgangen werden, daß die Karlsruher Behörde gezielt Berichte unterdrücken wollte, wonach der verletzte Wolfgang Grams noch am Tatort von einem bisher unbekannten Polizisten gezielt erschossen wurde. Der Bericht der Augenzeugin gewinnt auch dadurch an Glaubwürdigkeit, als er sich mit den Ergebnissen der ersten Obduktion vom Montag deckt. Das Gutachten bestätigt, daß Wolfgang Grams mehrere Schußverletzungen davongetragen hatte. Es kommt weiter zu dem Ergebnis, daß es sich bei der tödlichen Kopfverletzung entweder um einen Schuß „aus unmittelbarer Nähe“ oder um einen „aufgesetzten Kopfschuß“ handelte. Dafür gebe es „eindeutige Spuren an dem Körper von Herrn Grams“. So seien an der rechten oberen Schläfe Schmauchspuren sowie Druck- und Aufsetzspuren entdeckt worden. Dem Fernsehmagazin Monitor zufolge sollen die ermittelnden Behörden bereits am Sonntag, noch vor der Obduktion, über den tödlichen Schuß aus unmittelbarer Nähe informiert worden sein.

Das Bundesinnenministerium ließ gestern erklären, zumindest von den Angehörigen der GSG-9 sei kein Schuß „aus allernächster Nähe“ abgegeben worden. Dies hätten die beiden eingesetzten Einheitsführer der Grenzschutzsondereinheit bei zwei Befragungen zu Protokoll gegeben. Unabhängig davon, sagte Ministeriumssprecher Bachmeier, hat Innenminister Rudolf Seiters (CDU) angeordnet, alle unmittelbar am Einsatz beteiligten Beamten erneut zu befragen. An der Aktion in Bad Kleinen war auch ein Mobiles Einsatzkommando des Bundeskriminalamtes (BKA) beteiligt.

Die Verteidiger von Birgit Hogefeld, die bei der Schießerei als mutmaßliches RAF-Mitglied verhaftet wurde, haben gestern Strafanzeige gegen die Bundesanwaltschaft gestellt. Sie werfen dem Behördensprecher Hans-Jürgen Förster vor, „entgegen den Tatsachen und wider besseres Wissen“ über die Medien verbreitet zu haben, die 36jährige Hogefeld habe den Schußwechsel auf dem Kleinstadtbahnhof eröffnet. Die Bundesanwaltschaft hatte ihre erste Darstellung erst Tage später zurückgezogen und eingeräumt, daß Hogefeld nicht geschossen habe, sondern sofort überwältigt wurde.

Offensichtliche Unzulänglichkeiten gab es auch bei den Polizeiaktionen unmittelbar nach Bad Kleinen. Im Zuge einer vom BKA ausgelösten bundesweiten Fahndung nach mutmaßlichen RAF- Verbindungsleuten nahm die Dortmunder Polizei am Montag neun Menschen unter zum Teil dramatischen Umständen fest. Am schlimmsten traf es einen Autofahrer, der von einem Sonderkommando auf der A 44 in der Nähe der Düsseldorfer Messe durch eine absichtlich herbeigeführte Kollision gestoppt wurde. Dabei erlitt der junge Mann erhebliche Verletzungen, so daß er ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Der Mann war zusammen mit einer Frau Stunden zuvor in Dortmund ins Visier der Fahnder geraten. Beide Personen, so teilte die Dortmunder Polizei mit, hätten den Fahndungsangaben entsprochen. Weil das observierte Pärchen ein Haus in der Dortmunder Ofenstraße aufsuchte, gerieten auch gleich dessen Bewohner in Verdacht. Bis Montag mittag nahm die Polizei sieben Hausbewohner fest. Erst nach stundenlanger Einzelhaft – einen Kontakt zu Anwälten ließ die Polizei wegen vermeintlicher „Verdunklungsgefahr“ nicht zu – wurden die völlig ahnungslosen Fahndungsopfer freigelassen. Die Polizei sprach später von „bestimmten Beeinträchtigungen einiger Bürger“, die aber wegen der „hohen Gefahrenlage“ unvermeidbar gewesen seien. Wolfgang Gast/Walter Jakobs