„Wo soll denn jetzt noch was hin?“

■ 20 Jahre Bremer „Kunst im öffentlichen Raum“ / Gespräch mit Hans-Joachim Manske

Natürlich kann man auch dran vorbeigehen und die Kunst links liegenlassen... Aber in kaum einer Stadt sind die Beispiele von „Kunst im öffentlichen Raum“ so präsent wie in Bremen. Die fast 100 Skulpturen, Wandbilder und Installationen begegnen uns täglich. Und fordern uns zum Streit heraus — nicht nur über Geschmacksfragen. Raus aus den Museumskabinetten, und auf die Plätze, fertig, los ging es vor genau 20 Jahren: Damals beschloß die Bürgerschaft — als erstes Parlament der Republik — eine eigene Haushaltsstelle für „Kunst im öffentlichen Raum“ einzurichten. Über die Entwicklung dieses „Bremer Modells“, von den heute etwas pathetisch anmutenden Polit- Kunststücken der 70er Jahre bis zu den fast gegenstandslosen Konzeptarbeiten der Gegenwart, gab Hans-Joachim Manske Auskunft, Leiter des zuständigen Referats in der Kulturbehörde.

taz: Die Wandmalereien sind ja zu etwas wie einem Bremer Markenzeichen geworden. In einigen Stadtteilen gab es aber auch Widerstand dagegen. Auf den Protest von Bürgern in Oslebshausen hin mußte Hermann Stuzmann sein Anti-Kriegs- Bild auf einen anderen Bunker malen. Muß „Kunst im öffentlichen Raum“ stets den Konsens zur Voraussetzung haben?

Manske: Der Oslebshauser Bunker — gut, das war ein Bild, wo die Umgebung abgebildet wurde und dann dieser Schriftzug stand: „Liebe Herta, nie wieder Krieg haben wir gesagt“. Ein Spruch, den meine Eltern auch immer wieder in den ersten Nachkriegsjahren erzählt haben. Das sollte natürlich auch ein Anstoß zur Diskussion sein. Das sind zum Teil sehr scharfe Konflikte gewesen. Nicht nur für mich als Staatsvertreter, sondern vor allem für die Künstlerinnen und Künstler, deren Subjektivität und Anspruch auf Autonomie dabei ja hart bedrängt wurden. Aber das sollte so sein.

Aber das Problem ist doch, daß man durch den demokratischen Entscheidungsprozeß die Kunstwerke selbst und ihre spätere Diskussion teils verhindert hat.

Sie deuten da auch den Grundwiderspruch an. Auf der einen Seite sollten ja ganz neue Formen der Zusammenarbeit und Diskussion mit den Menschen entwickelt werden, nach Möglichkeit bereits im Vorfeld. Das ist auch geschehen. Neben den partizipatorischen Projekten, von denen es eine ganze Reihe gab, liefen aber alle anderen über die Form des Wettbewerbs...

...an denen die Stadtteil-Beiräte beteiligt waren...

Ja, die waren in einer Jury beteiligt. Das große Problem war aber, daß die Bevölkerung oft das Motiv direkt bestimmen wollte. Wenn Sie zum Beispiel eine große, breite Straße haben, und da steht jetzt der Bunker — gut, da können Sie alle möglichen Leute fragen und werden immer sehr ähnliche Antworten kriegen. In Bremen mußte ein Bild damals immer irgendwas mit Hafen und Schiffen zu tun

Hans-Joachim ManskeFoto: Jörg Oberheide

haben oder eine nostalgische Erinnerung darstellen.

Zum Teil haben sich die Künstlerinnen und Künstler sogar auf solche Erwartungshaltungen eingelassen, aber etliche auch nicht. Die haben gesagt: Wir empfinden unsere Entwürfe als wirklichen Dialog, als Konflikt- Angebot. In dem Moment, in dem damals damals ältere Menschen mit Kriegsthemen konfrontiert wurden, kamen die Jüngeren immer in die Rolle der Ankläger.

Weckt dieser Anspruch auf Mitentscheidung nicht ganz falsche Erwartungen bei den Leuten — geht es nicht eher darum, durch die Kunst Meinungsbildung und —austausch zu fördern?

Mitentscheidung ist ja nun auch eine Folge der Dezentralisierung kommunaler Politik. In den Anfängen des Bremer Programms haben wir die Bürgerinnen und Bürger bewußt einbezogen. Das war genauso gemeint, wie Sie es eben gesagt haben: Daß es eine Meinungsbildung gibt und ein Gewöhnungsprozeß in Gang gebracht wird, nicht nur an Kunstwerke, wenn sie stehen, sondern an die Art und Weise, wie Künstler sehen, denken und argumentieren. Ich meine, daß sich das über viele Jahre in Bremen soweit eingespielt hat, daß es keine ungeheure Explosion gibt, wenn da mal was Ungewöhnliches in der Kunst passiert.

Andererseits hat sich die Kunst in den 80er Jahren ja auch viel zurückhaltender geäußert. Da äußert sich ein ganz anderes Verhältnis von Kunst im öffentlichen Raum.

Sind diese schwierigen Abstimmungsverfahren, so beschwerlich das auch für die Künstlerinnen und Künstler war und ist, nicht die eigentliche Leistung des Bremer Modells — also die Vermittlungsarbeit und nicht die Monumente?

Da ist man in Bremen sicher weiter gekommen als bei vergleichbare Projekten in anderen Städten. Aber wenn Sie es nur von den Kunstwerken her betrachten, hat sich ja folgende paradoxe Situation eingestellt: In den ersten Jahren, als das Figürliche dominierte, in einer bestimmten gesellschaftlichen und politischen Situation, da haben sich

hierhin das Porträtfoto

des Brillenträgers

das Bremer Modell und die Kunstwerke von dem überregionalen und internationalen Mainstream teilweise gelöst. Das hat Bremen ungeheuer viel Kritik aus kunsthistorischer und kunstkritischer Seite eingebracht...

...die Kritik des Provinziellen.

Eben. Aber in der Erinnerung ist es das einzige Profil. Denn sowas wie die Wandbilder hat damals keine andere Stadt in dieser Form gemacht. Bremen hat im Vergleich zu anderen Städten vielleicht weniger große Namen zu bieten. Aber die Leistung unseres Modells besteht ja auch darin, das Programm über 20 Jahre lang verfolgt zu haben, mit all den Wechseln.

Das Besondere war, den Begriff des „sozialen Ortes" in den 70ern und auch noch in den 80ern ernstzunehmen: Kunst mit den Menschen, den unterschiedlichen Zielgruppen gemeinsam zu definieren, wobei die Gefahr der Einschränkung künstlerischer Autonomie bewußt in Kauf genommen wurde.

In der zweiten Phase kamen mehr experimentelle, temporäre Projekte hinzu, in denen der Ort ganz anders definiert wurde. Die Eingriffe waren zurückhaltender, von einer ganz anderen Warte aus konzipiert, weniger spektakulär, manchmal auch intelligenter. Ein wenig hatte der große Gestus der 70er ja auch was von einer Dampframme.

Der Künstler Jochen Gerz zum Beispiel verzichtet ja bei seiner derzeitigen „Bremer Umfrage“ ganz auf ein repräsentatives Werk, sondern erklärt die Vermittlungsarbeit selbst zur Kunst. Könnte das zu einem Modellfall werden für die weitere Entwicklung der Kunst im öffentlichen Raum, daß man unter Öffentlichkeit nicht gleich einen zu besetzenden Platz versteht?

Der Ansatz von Gerz ist tatsächlich genau der, mit dem Bremen einmal angetreteten ist. Er verklammert diesen alten politischen Ansatz mit den neuen Strategien der 80er, wo die Künstler eher unscheinbare, dezente Eingriffe vornehmen. Die Aufputzung der Innenstädte hat ja eine Situation geschaffen hat, in der man sich fragt: Wo soll denn jetzt noch was hin? Und wenn — wie ist zu verhindern, daß die Kunst dann nicht nur Teil der allgemeinen Glitzerwelt ist? Fragen: Thomas Wolff