■ GASTKOMMENTAR: Umzug im SPD-Interesse
Pardon wird nicht gegeben. Der Schoß, aus dem der Mißtrauensantrag kroch, bleibt fruchtbar. Diesmal ist es die Hattig-Gaertner-Kombination, die trotz Sommerpause die Ampelkrise verschärfen wird. Und natürlich haben die SPD-Protagonisten für die große Koalition genau wie Kudella und Hattig recht, daß sie sich keine Pause leisten können. Wer jetzt acht Wochen in der Sonne liegt, könnte den Zeitpunkt verpaßt haben, an dem noch eine große Koalition läuft. Entweder wird Grobecker dieses Jahr Bürgermeister oder nie. So wenigstens sieht er es.
Der Fall Gaertner kommt da wie gerufen. Streiten wir nicht, ob sie drei Monate vor der Wahl wirklich echte Bremerin gewesen ist wie alle, die sonst noch im Senat sitzen. Es gibt eine Advokaten-Meinung, die das behauptet, so wie der Auftraggeber es verlangt. Natürlich werden Advokaten-Meinungen anderer Auftraggeber das Gegenteil beweisen. Und weil es um die Schlüssigkeit der Gegengutachten nicht schlecht bestellt sein wird, ist Unsicherheit unweigerlich die Folge. Die Zwischenrufe bieten sich an: „Lassen Sie sich doch erst einmal richtig wählen!“
Das aber eben kann Frau Gaertner nicht. In ihrem Fall ist keine Heilung möglich, weil eine nachgeholte Wahl die Insurgenten-Riege erneut in Stellung brächte – und diesmal vermutlich Blattschuß. Sie muß den Nervenkrieg ertragen.
Da trifft es sich gut, daß eine zweite Indiskretion aus dem Umfeld des Senats die Nervenstränge weiter bloßlegt. Die Umzugskosten- Zahlung – als Ministerkiller inzwischen hochbewährt – soll die Gaertner weiter foltern. Die Bitte an den „Lieben Fritz“ – ursprünglich wohl für Dynamit gehalten – kann vergessen werden. Wirklich brisant allein ist die Tatsache, überhaupt Umzugskosten verlangt und erhalten zu haben. Wer nach dem Gesetz am Tage seiner Wahl in der Bremischen Bürgerschaft schon mindestens drei Monate richtiger Bremer sein müßte, kann natürlich keine Umzugskosten geltend machen – wofür denn? Sie war doch längst Bremerin, sie mußte es sein.
Was vor der Wahl in den Senat mit Wedemeier und Genossen abgesprochen war und zum Umzug führte, ist Privatsache auf Parteiebene, die nicht staatlich ist. Es hieße doch den Filz ein wenig überdehnen, wenn Umzüge im Parteiinteresse – damit die SPD drei Monate später eine Senatskandidatin präsentieren kann – vom bremischen Steuerzahler übernommen werden. Und wie bei Pfarr und Krause weiß ein jeder, daß diese Rechnung etwas anderes meint. Was hilft's?
Wie gut, daß nicht nur Heckenschützen auf die Ampel zielen. Mit Präses Hattig tritt ein ehrenwerter Mann in die Arena. Ihn kümmert nicht, welche Koalition im Rathaus sitzt, versichert er. Und es ist gut so. Wir kämen sonst noch auf den Gedanken, die Handelskammer sei für Koalitionsfragen zuständig.
Nein, wo andere Intrigen zum Sturz der Ampel spinnen, treibt Hattig ehrliche Sorge vor die Presse. Zwar ist das eingeschriebene CDU- Mitglied seit langem gegen Ampel-Grün, aber er toleriert die Grünen im Rathaus, wenn sie zwei kleine Bedingungen erfüllen: Die Hemelinger Marsch muß Fücks flugs Jäger überlassen, und der Betonpistenring um Bremen muß schnell Wirklichkeit werden. Wenn Grün allerdings solche Bremen-Förderung nicht will, muß eine neue Regierungskoalition ins Rathaus. Wirklich, man muß es Präses Hattig glauben: Ihm ist es gänzlich gleich, welche Koalition regiert. Wie gut, daß eine ehrliche Haut im Schütting sitzt.
Vielleicht gibt Konrad Kunick als Landesvorsitzender der SPD allen Heckenschützen und Koalitionsplanern die längst fällige Aufklärung: Neue Koalition heißt nämlich SPD, CDU und FDP. Anders kommen die Stimmen für eine Senatsneuwahl in der Bürgerschaft in ausreichender Zahl nicht zusammen. Die SPD wird es dabei zerreißen, was Hattig und Kudella und Jäger nur freuen kann. Wie aber denken die Genossen über diese Konsequenz?
Thomas Franke, Senator a.D.
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