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Grenzenlos

Ortsbesichtigung: Das Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt  ■ Von Stefan Bruns

„Ein politischer Ort ist immer auch ein kultureller Ort.“ Die lapidare Behauptung gilt in besonderem Maße für das Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt, besser bekannt als „das BAZ in der Oranienstraße“.

Kam man – noch vor nicht allzulanger Zeit – vom Moritzplatz her nach SO 36 (für Auswärtige: das eigentliche „Kreuzberg“), sprang einem an der Brandwand des BAZ die riesige Parole „Hände weg von Nicaragua!“ ins Auge. Heute ist die Brandwand zugebaut: ein Autohaus hat in die neue Citylage investiert. Aber das Opel-Signet auf dem Dach erinnert unwillkürlich an das einstmals hier dominante Hausbesetzerzeichen.

Der Buchladen, den man durch das BAZ betritt, macht im Schaufenster wenig her, bietet innen aber eine enorme Auswahl an regional sortierter Literatur zu den Schwerpunkten Afrika, Asien und Lateinamerika und zum Themenkomplex Rassismus, Migration, Entwicklungspolitik, darunter auffallend viele englischsprachige Bücher und Zeitschriften. Wo sonst findet man Steve Bikos Black Consciousness in Südafrika oder Dambudzo Marecheras Mind Blast vorrätig?

Doch es werden nicht nur Bücher verkauft. Das ganze Haus gehört heute zum BAZ. Hier finden auch Lesungen statt, werden Filme zu Dritte-Welt-Themen gezeigt, hier wird regelmäßig jamaikanisch oder à la Bangladesh gekocht, es gibt Modenschauen und Tanzabende, es werden Vortragsreihen konzipiert und Bücher ausgedacht: In diesem Monat erscheint, herausgegeben vom BAZ, der Band „Islam im Umbruch. Grenzen einer Weltreligion“. Der Sammelband krönt eine Vortragsreihe zu Themen wie islamisches Frauenbild, iranischer Staatsterrorismus, Feindbild Islam. Außerdem beherbergt das BAZ Beratung für ImmigrantInnen und eine Beratungsstelle im Fall rassistischer Übergriffe. Wichtiger Bestandteil des umfassenden politisch-kulturellen Angebots des BAZ ist der kostenlose Deutschunterricht, den Flüchtlinge hier besuchen können.

Mit all diesen Aktivitäten ist das BAZ nicht nur ein Zentrum der Dritte-Welt-Arbeit in Berlin, sondern auch ein internationaler Treffpunkt. Das „Café Grenzenlos“ ist täglich geöffnet. Entsprechend den im Hause hauptsächlich vertretenen Gruppen gibt es hier zu günstigen Preisen wechselnde Küche: montags bengalisch, dienstags türkisch, mittwochs afrikanisch, donnerstags jamaikanisch, freitags wieder bengalisch oder asiatisch. Dazu die passende Musik, häufig live. Harte alkoholische Getränke gibt es nicht.

Ein Verein ist Träger des Hauses, das ehemals der Kühl KG, dem Konzern des Kommunistischen Bundes Westberlin gehörte und dank eines Kredits von „Umverteilen e.V.“ gekauft werden konnte. Verschiedene Gruppen arbeiten, inhaltlich voneinander unabhängig, unter diesem Dach: das Immigrantenpolitische Forum (IPF), das Projekt „Kinder einer Welt“ und die Kontakt- und Beratungsstelle für außereuropäische Flüchtlinge.

Natürlich hat sich das BAZ im Laufe der Jahre verändert. 1982 wurde es von ehemaligen Entwicklungshelfern gegründet, als Forum für Internationalismus-Arbeit in Berlin. Damals gab es auch gemeinsame Projekte mit dem Deutschen Entwicklungsdienst. Die heutige Generation von Entwicklungshelfern ist politisch weniger engagiert. Der Schwerpunkt der BAZ-Aktivitäten hat sich auf Fragestellungen von in Berlin lebenden ImmigrantInnen verlagert. Für sozial-politische Selbsthilfe steht etwa die Initiative Schwarzer Deutscher (ISD), die die Zeitschrift afro look herausgibt und jährlich im Februar den „Black History Month“ mit Lesungen und Filmen, Festen und Modenschauen veranstaltet. Jahrelang war hier auch das KOMZA, das Kommunikationszentrum Afrika, tätig, mit Arbeits- und Lesekreisen etwa zur Geschichte Afrikas. Mahoma, aus Malawi in die DDR und vor über zehn Jahren nach Kreuzberg gekommen, ist heute der einzige Mitarbeiter, der seit der Gründung des BAZ dabei ist und alle Veränderungen miterlebt hat. Er ist heute hauptsächlich – und unentgeltlich! – im Deutschunterricht tätig.

Derzeit läuft eine Veranstaltungsreihe zum Theme Neokolonialismus und Migration, wie vieles im BAZ finanziert durch das Bildungswerk für Demokratie und Umweltschutz; die ReferentInnenliste ist international besetzt. „Ein politischer Ort ist immer auch ein kultureller, ein Ort, wo diskutiert werden kann, wo die Leute gezielt hinkommen, um fremde Kulturen zu erleben“, sagt Frank, einer der beiden angestellten Mitarbeiter und zuständig für das Veranstaltungsprogramm. Aber Zeit, Geld und Kräfte sind begrenzt. Wie in vielen Projekten ist die Weiterfinanzierung der beiden ABM- Stellen in Frage gestellt. Die derzeitige Lage in Deutschland, insbesondere die faktische Abschaffung des Asylrechts, bindet viele Kräfte. Selbstverständlich fuhren die Mitarbeiter am Tag der Grundgesetzänderung nach Bonn zur Demo. Dafür bleibt dann auch mal ein „schöneres“ Vorhaben liegen. Gerne würde man mehr literarische Veranstaltungen durchführen, etwa wieder ein „literarisches Frühstück“, sonntags im Wechsel mit der Filmreihe, oder landesbezogene Lesungen. Die Räume stehen zur Verfügung. Leider ist auch der weitere Ausbau der bengalischen Bibliothek in den Anfängen steckengeblieben, mangels Stellenfinanzierung. Immerhin findet sich hier der wohl größte Bestand bengalischer Literatur in Deutschland. Dafür konnte, in Zusammenarbeit mit dem Koordinationskreis Mosambik, eine Filmreihe im Kino Arsenal realisiert werden. Zur Asylrechtsänderung wurde beim Fernsehsender FAB eine halbstündige Sendung produziert.

Große Vielfalt und viele Möglichkeiten unter dennoch bedrückenden Verhältnissen. Ein derart internationaler und gerade auch von Flüchtlingen besuchter Ort ist heute auch ein bedrohter Ort. Der Vorstand des BAZ muß sich überlegen, ob, ohne die Besucher zu gefährden, weiterhin die Türen immer für alle offenstehen können, ob nicht Schutzmaßnahmen zwingend notwendig sind. Noch ist Kreuzberg mit seiner Mischung aus alternativer Szene und Ausländern der sicherste vorstellbare Ort in Berlin.

Damit es nicht noch schlimmer kommt, setzt das BAZ mit seiner politischen Aufklärungs- und Selbsthilfearbeit, mit seinen kulturellen Dienstleistungen und offenen Veranstaltungen beharrlich Signale: kulturell, sozial, politisch.

Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt (BAZ), Oranienstraße 159, Kreuzberg. Büro: 614 50 98, offen von 10 bis 16 Uhr.

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