: Ein Wagen für viele Nutzer
■ Wer Car-sharing praktiziert, muß aufs Auto nicht verzichten / Berlins Car-sharing-Pionier „Stattauto“ expandiert seit fünf Jahren stetig / Ziel ist eine europaweite Vernetzung
„Nein, wir haben keine Angst. Bei steigender Nachfrage gibt es keine Ressourcenprobleme und daher auch keine Konkurrenz.“ So reagiert Carsten Petersen, Geschäftsführer der „Stattauto Car- sharing GmbH“, auf die Gründung von „Mobil-Konzept“. „Stattauto“ hatte bisher das Monopol in der Stadt inne. 1988 als Nachbarschaftsinitiative gestartet, hat sich das Projekt seitdem kontinuierlich vergrößert. Heute teilen sich etwa 1.200 TeilnehmerInnen fast 100 Autos, die auf 18 Stützpunkten verteilt bereitstehen. Das „vehemente Wachstum“ des Projekts sei kaum zu bewältigen: „Wir suchen dringend größere Büroräume für unsere sieben MitarbeiterInnen“, so Petersen.
Manches hat sich im Laufe der fünfjährigen Geschichte von „Stattauto“ verändert: Den Anrufbeantworter im Wohnzimmer, der anfänglich die Buchungen entgegennahm, ersetzt heute ein Computersystem. „Nur so war die wachsende Zahl der Buchungen überhaupt zu bewältigen“, sagt Petersen. Auch die Sicherung der Autoschlüssel, die an den Stützpunkten in Tresoren bereitliegen, ist ausgefeilt worden: seit vergangenem Jahr erhalten die TeilnehmerInnen zusätzlich zum Tresorschlüssel eine Chipkarte, mittels derer der Zeitpunkt der Nutzung sowie die Kundennummer registriert werden. Die Karte kann gleichzeitig als BVG-Monatskarte genutzt werden, bisher jedoch ohne finanzielle Vergünstigungen. „Wir stehen da in Verhandlungen mit der BVG. Wichtig ist diese Vernetzung aus symbolischen Gründen“, meint Petersen.
Über 90 Prozent liegt nach Petersens Angaben bei „Stattauto“ die Wahrscheinlichkeit, das gewünschte Auto zur gewünschten Zeit am gewünschten Ort zu bekommen. Besonderheit im Konzept: Das Fahrzeug muß an den Stützpunkt zurückgebracht werden, an dem es auch entliehen wurde. „Sonst würden die Leute anfangen, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren“, begründet Petersen diese Regelung. Umweltbewußtem Verkehrsverhalten will „Stattauto“ auch auf anderem Wege die Bahn brechen: in der Geschäftsstelle wurde kürzlich ein Dachverband europäischer Car- sharing-Projekte gegründet. Petersen hofft, zentralen verkehrspolitischen Forderungen so größeres Gewicht zu verleihen zu können. Sein wichtigstes Anliegen: „Wir wollen für unsere Autos öffentliche Stellplätze, analog zum Taxi. Schließlich sind wir genauso Teil des ÖPNV.“ Dazu müßte die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Die NutzerInnen von „Stattauto“ profitieren schon heute von der Vernetzung: Sie können auch in anderen Städten ohne zusätzliche Kosten die Autos der angeschlossenen Car-sharing- Projekte nutzen.
Eine Organisation des Projekts als Genossenschaft, lange Zeit diskutiert, haben die Organisatoren von „Stattauto“ endgültig verworfen. „Viele TeilnehmerInnen haben überhaupt kein Interesse an einer Mitverwaltung“, begründet Petersen. Nur ein Drittel der NutzerInnen sei im Verein organisiert, der die Arbeit der GmbH kontrollieren soll. Für die jedoch sei die emotionale Anbindung an das Projekt wichtig: „Diese Leute sind stolz darauf, in intelligenter Form Auto zu fahren.“
Das vermutlich um so mehr, als ihnen der Verzicht aufs eigene Fahrzeug nicht immer leichtfällt, wie Tobias Funk, seit eineinhalb Jahren Nutzer von „Stattauto“, zu erzählen weiß: „Man meint ja dann doch, daß das etwas Endgültiges sei. Es ist schon verrückt, wie stark die emotionale Bindung an das eigene Auto ist.“ Ihn hat vor allem der Ärger dazu getrieben, auf Car- sharing umzusteigen: „Ich habe in meinem Wohnviertel nie einen Parkplatz gefunden.“ Kein Einzelfall, wie Berthold Klessmann bestätigen kann: „Ich war völlig entnervt von der Parkplatzsuche.“ Weil jedoch „ab und zu die Notwendigkeit besteht, Auto zu fahren“, ist Klessmann vor drei Jahren auf „Stattauto“ umgestiegen.
Funk fährt wesentlich weniger Auto als früher: „Man ändert sein Reise- und Fahrverhalten“, hat er beobachtet. Der Sommerurlaub per Zug sei früher undenkbar gewesen, doch bei „Stattauto“ würden die hohen Kosten des Autofahrens schneller offenbar als bei der privaten Pkw-Nutzung: „Da habe ich erstmal einen Schock bekommen“, erinnert sich Funk. Mit dem Konzept von „Stattauto“ ist er zufrieden, auch wenn er anmerkt: „Ich würde mir eine noch bessere Vernetzung mit anderen Städten wünschen, so daß man sich darauf verlassen könnte, daß in jeder größeren Stadt am Bahnhof eine ,Stattauto‘-Station zu finden ist.“ Probleme habe es nie gegeben, höchstens am Wochenende müsse man mal auf einen entfernteren Stützpunkt ausweichen.
„Stattauto“, Manteuffelstraße 40, 1000 Berlin 36, Tel. 611 35 27. Ulrich Jonas
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