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Riesenloch am Rhein

■ SPD nimmt Folgeschäden bei Braunkohletagebau in Kauf

Düsseldorf (taz) – Im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium wird mit Hochdruck daran gearbeitet, mögliche Hürden für den umstrittenen Braunkohletagebau Garzweiler II in der Erkelenzer Börde zwischen Köln und Aachen aus dem Weg zu räumen. Obwohl die Regierung Rau immer wieder versichert, daß sie über eine Genehmigung des Großtagebaus nicht vor Ende 1994 entscheiden werde, haben sich die beiden zuständigen Düsseldorfer Fachministerien für Wirtschaft und Umwelt offenbar längst auf den Aufschluß von Garzweiler II festgelegt. Ein Spitzenbeamter aus dem Düsseldorfer Wirtschaftsministerium erklärte gegenüber der taz, daß eine Entscheidung gegen Garzweiler „im Licht der energiepolitischen Leitbilder“ der SPD- Landesregierung nicht vorstellbar sei.

Energiepolitisch, so heißt es im Hause von Wirtschaftsminister Günther Einert (SPD), gebe es derzeit „überhaupt keine denkbare Alternative“ zu Garzweiler II, aus dem ab 2006 zwischen 35 und 45 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaggert werden sollen. Ohne das Großprojekt, so erklärt ein Beamter aus dem Wirtschaftsministerium, gebe es Anfang des nächsten Jahrtausends eine beträchtliche Energielücke: „Das ist die Basis, und daran kommen wir nicht vorbei.“

Dem gigantischen Tagebauvorhaben werden rund 8.000 Menschen weichen müssen, die in neue Ortschaften umgesiedelt werden sollen. Noch schwerwiegender sind die ökologischen Bedenken. Nach Ansicht von Experten sind die Grundwasservorräte in den umliegenden Naturschutzgebieten ernsthaft gefährdet, es drohe die Verkarstung ganzer Landstriche. Ausgesprochen umstritten ist auch der bei dem Projekt entstehende „Restsee“. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) befürchtet: „Es wird eine sterile Kunstlandschaft aus Reißbrett-Dörfern, Designer-Seen und begrünten Abraumhalden zurückbleiben.“

Um das umstrittene Tagebauprojekt innerhalb der nordhrein- westfälischen SPD-Regierungspartei mehrheitsfähig zu machen, hat der Betreiber, die RWE-Tochter Rheinbraun AG, noch vor dem Planverfahren zwei Zugeständnisse gemacht: Zum einen ist das geplante Abbaugebiet um etwa ein Drittel von ursprünglich 66 auf 48 Quadratkilometer verkleinert worden; zum anderen hat der RWE-Konzern zugesagt, seine fünf Kohlekraftwerke im rheinischen Revier Zug um Zug auf eine „neue Kraftwerksgeneration“ umzurüsten.

Zwingende Voraussetzung für diese Milliarden-Investitionen ist nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums der Aufschluß von Garzweiler II: „Der Betreiber braucht Planungssicherheit, und die Rahmenbedingungen müssen stimmen.“ Doch diese Rahmenbedingungen sind nach Einschätzung von Einerts Fachbeamten ins Wanken geraten, seit die Europäische Gemeinschaft die Einführung einer Energiesteuer mit einer CO2- Komponente plant. Nach einem vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen RWI-Gutachten würde die Braunkohle dadurch stärker als Steinkohle, Erdöl oder Erdgas belastet.

Für Wirtschaftsminister Einert ist die CO2-Komponente deshalb „unter keinen Umständen hinnehmbar, weil sie zu einer deutlichen Verteuerung der Braunkohle und zu einer relativen Vergünstigung der Kernenergie führt“. Die Führung von Rheinbraun ist dagegen weniger beunruhigt. Der von der EG-Kommission bereits im Oktober 1991 vorgeschlagenen kombinierten CO2-Steuer werden dort kaum Chancen eingeräumt.

RWE-Vorstandschef Friedhelm Gieske ist jedoch vorsorglich schon bei Bundeskanzler Helmut Kohl vorstellig geworden und hat ihm ein „Kompensationsmodell“ vorgeschlagen: Danach sollen Investitionen in neue Kohlekraftwerke mit einem höheren Wirkungsgrad voll auf die CO2-Steuer angerechnet werden. Die EG-Beamten indes bezweifeln die Praktikabilität dieses Vorschlags, dem Energieriesen RWE seine milliardenschweren Kraftwerksinvestitionen über die CO2-Steuer zu finanzieren. Unterdessen formiert sich vor Ort der Widerstand gegen den Großtagebau Garzweiler II.

Eine führende Rolle spielen hierbei die beiden Kirchen, die mit dem Bibel-Motto „Schöpfung bewahren“ gegen eine „verheizte Heimat“ Front machen. Sämtliche katholischen Pfarrgemeinden in dem Tagebau-Plangebiet haben sich entschlossen, kein Kirchenland für Garzweiler II an Rheinbraun zu verkaufen. Süffisant bemerkte der katholische Gemeinwesenarbeiter Rolf Sevenich in Richtung von Regierungschef Rau: „Mal sehen, ob Bruder Johannes seine Unterschrift dazu gibt, die römisch-katholische Kirche zu enteignen.“

Bei einem Scheitern des umstrittenen Tagebauvorhabens drohen nach Angaben von Rheinbraun rund 4.000 direkte Arbeitsplatzverluste; indirekt würden etwa 12.000 Arbeitsplätze gefährdet. Zudem wäre eine Übernahme der Kumpel von der benachbarten Hückelhovener Steinkohlenzeche „Sophia Jacoba“, die 1997 dicht machen muß, undenkbar.

In Hückelhoven gibt es laut Rheinbraun inzwischen eine starke Stimmung für Garzweiler II. Bei einer Umfrage favorisierten 53 Prozent der Sophia-Jacoba-Kumpel nach Schließung ihrer Schachtanlage einen Arbeitsplatz bei Rheinbraun. „Das hat die Bürgerinitiativen schwer verunsichert“, frohlockt Rheinbraun-PR- Chef Wolfgang Rönnebeck. Dagegen glauben die Tagebau-Gegner, beim Betreiber Rheinbraun angesichts des wachsenden Widerstands in der Bevölkerung eine Verunsicherung ausgemacht zu haben: „Denen geht die Muffe eins zu hunderttausend“, mutmaßt Herbert Schäfer von der Rheinischen Bürgeraktion „Stoppt Braunkohletagebau“.

Wie jedoch aus Düsseldorfer Kabinettskreisen zu hören ist, soll die Genehmigung für Garzweiler II „in jedem Falle noch 1994“, also mindestens ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl an Rhein und Ruhr, über die Bühne gehen. Immerhin sei nach der Wahl bei bestimmten Konstellationen auch in Nordrhein-Westfalen ein rot-grünes Bündnis nicht auszuschließen, heißt es in der SPD-Landtagsfraktion, „und dann muß Garzweiler II längst in trokkenen Tüchern sein“. Denn, so unkt ein Rau-Berater: „Mit den Grünen ist doch so ein Projekt überhaupt nicht zu machen. Das kannste dann gleich vergessen.“ Johannes Nitschmann

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