■ Ökolumne
: Speisewagen? Speisewagen! Von Klaus Hillenbrand

Ich gestehe. Bis vor ein paar Jahren gehörte auch ich zu der Spezies Mensch, die sich auf Langstrecken bevorzugt in eine blecherne Kiste mit vier Rädern setzte, um als Selbstfahrer, meine Umgebung mit diversen chemischen Verbindungen belastend, das Ziel zu erreichen. Ich fand das bequem und effizient. Doch dann dachten immer mehr Leute genauso, und die Geschwindigkeit an diversen Autobahndreiecken und -kreuzen sank gegen Null. Da beschloß ich in einem Anfall von Wagemut und dunklen Erinnerungen an die Kindheit, mich einem Zug der Deutschen Bundesbahn anzuvertrauen. Und was ich dort erlebte, ließ mich augenblicklich das Auto verfluchen und die neue alte Fortbewegungsart lobpreisen.

Da gab es einen Wagen, in dem man gemütlich Kaffee trinkend, Käseplatten speisend und Rotwein schlürfend durch die Landschaft sauste. Die Küche im Speisewagen erbrachte, zugegeben, nicht immer Spitzenleistungen – doch im Vergleich von Rührei mit Schinken bei 120 Stundenkilometern in der Bahn gegen Brötchen in der Rechten, Steuer in der Linken, Fuß auf der Bremse, Augen im Rückspiegel, bei 50 Stundenkilometern im Auto, war sie unschlagbar. Das Zugrestaurant kurierte mich augenblicklich vom Autobahnwahn, und mein Pkw steht heute in aller Regel mit für die Industrie beklagenswert geringer Kilometerleistung auf dem Tachometer ungenutzt vor der Haustür. Manchmal guckte ich während der Fahrt entspannt lächelnd aus dem Speisewagenfenster, einem genervten Autofahrer an der Schranke zuprostend und die Schadenfreude über seinen Stillstand nicht verbergend.

Tatsächlich ist der Speisewagen ein europäisches Kulturgut allerhöchsten Ranges, der nicht nur zum Speisen gut ist. Das Zugrestaurant dient zu konspirativen Begegnungen zwischen Spionen und Geheimdienstlern, Journalisten und Informanten, Industrie- managern und Greenpeace-Aktivisten (um nur einige Möglichkeiten zu nennen). Er fördert zwischenmenschliche Begegnungen subtiler, erotischer, ärgerlicher und anödender Art. Der Speisewagen diente ungezählten Filmen als Kulisse, Literaten als Stoff, Schwarzfahrern als Aufenthaltsort und nicht zuletzt vielen Köchen und Kellnern als Arbeitsplatz.

Und jetzt das: Der Speisewagen soll gemeuchelmordet werden. Unauffällig, nur in kleinen Fußnoten versteckt, finden sich die ersten Ankündigungen: „Die ICE-Züge Nr. sowieso führen in der 1.Klasse Service und Verpflegung am Platz auf Vorbestellung, in der 2.Klasse Bistro und Minibar“, so steht es im Kursbuch auf Seite 35. Manche ICs bieten gar nur klappernde, bimmelnde, vierrädrige Speisetornister an, Minibars genannt, aus denen ein beklagenswerter Eisenbahner lauwarme Knackwürste und Dosenbier fingern muß. In der 1.Klasse wiederum nähert sich die Bahn den vorgekochten Plastemenus der Lufthansa an, verlangt aber für diesen „Service“ frech auch noch die Vorbestellung! Gipfel der im wahrsten Sinne des Wortes Geschmacklosigkeit: Von den verbliebenen Speisewagen werden ab Herbst einige an einen US-Bulettenbrater verchartert: Da erinnert man sich wieder des Brötchens in der rechten, Steuer in der linken Hand, Fuß auf der Bremse...

Nein: Es kann keine Lösung sein, wieder individuell zu einer Verlängerung der Verkehrsnachrichten beizutragen. Für alle gibt's heute eine Lobby: Tandemfahrer, Automatenspielhallenbesitzer, Currywurstesser, Datschenpächter, Mauerstreifenbesitzer. Bilden wir eine Interessengemeinschaft speisewagenfahrender Bundesdeutscher (abgekürzt IsB, hört sich prima an). Es ist uns bitter ernst. Schreiben wir massenweise Briefe an Bahnchef Dürr!

Doch Drohungen mit der Rückkehr zum Auto sind fehl am Platz. Die anstehende Bahnreform selbst bietet die Grundlage für die Arbeit. Wenn nämlich, wie geplant, Schienenbesitzer und Reisezugveranstalter erst in getrennten Firmen organisiert sind, kann uns keiner daran hindern, künftig selbst Züge auf die privatisierten Gleise zu stellen. Ohne Minibar, ohne normale Waggons. Aber mit mindestens zwölf Speisewagen pro Zug.