■ Generalbundesanwalt schwieg, um weitere Erfolge zu gewährleisten. Fehler wollte er nicht vertuschen, meinte von Stahl zu den unaufgeklärten Todesursachen von Wolfgang Grams in Bad Kleinen. Innenminister Rudolf Seiters fordert Aufklärung durch einen unabhängigen Juristen und von der GSG 9 will's keiner gewesen sein.
: Tathergang weiterhin ungeklärt

Auch am Freitag nachmittag sind die Umstände der blutig verlaufenden Festnahmeaktion der RAF-Terroristen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld völlig ungeklärt. Der mysteriöse Tod von Wolfgang Grams, der nach letzten Feststellungen von Gutachtern der Universität Leipzig durch einen direkt aufgesetzten Kopfschuß oder jedenfalls „durch einen Schuß aus unmittelbarer Nähe in die rechte Schläfe“ ums Leben kam, wirft zahlreiche Fragen auf. Bundesinnenminister Seiters traf gestern die Feststellung, daß er im Zusammenhang mit den Vorgängen von Bad Kleinen „noch Aufklärungsbedarf“ sehe. Nunmehr soll ein „neutraler, unabhängiger Jurist“ mit der Aufklärung aller Widersprüche betreut werden. Ministeriumssprecher Bachmaier betonte gestern, daß eine nochmalige Befragung der sechs „an Zugriff und Schußwechsel“ beteiligten GSG 9-Beamten ergeben habe, daß keiner von ihnen auf den am Boden liegenden Grams geschossen oder einen „aufgesetzten Schuß“ abgegeben haben will. Das Bundeskriminalamt in Karlsruhe setzt die gewohnte Schweigetaktik fort und „macht keine Angaben“. Selbst über die Anzahl der bei der Festnahme beteiligten BKA-Beamten schweigt man beharrlich.

Unterdessen reißt in Bonn die Kritik an Bundesanwaltschaft und Bundesregierung nicht ab: Beklagt wird nicht nur die allseits als „faktische Nachrichtensperre“ bewertete Zurückhaltung des Generalbundesanwaltes. Dessen Informationspolitik, so der SPD-Abgeordnete Penner „ramponiert das Ansehen der Generalbundesanwaltschaft“. Und der Bundesregierung wird durch die Einschaltung eines unabhängigen Juristen zu Aufklärungszwecken „Hilflosigkeit“ vorgeworfen. Penner zur taz: „Die Einschaltung einer neutralen Person ist vielleicht politisch erklärbar, aber wir befinden uns in einem Ermittlungsverfahren. Ich wüßte nicht auf welcher Kompetenzgrundlage diese dritte Person tätig werden sollte.“

Nach Meinung von Oppositions- Politikern soll vor allem von Stahl Konsequenzen aus den Vorgängen in Bad Kleinen ziehen. „Wenn jemand für eine Position nicht wirklich befähigt ist, so ist im Interesse der Sache eine andere Lösung geboten“, meint Penner, der auch auf frühere Versäumnisse des Bundesanwalts anspielt: „Schon im Fall Herrhausen sprach von Stahl von angeblichen Aufklärungserfolgen. Auch zuletzt in Solingen gab es eine eklatante Panne, als angebliche Täterphotos veröffentlicht wurden.“ Allgemein erhofft man nun von der Bundesregierung „eine lückenlose Aufklärung“ der Ereignisse. Ein Rücktritt des Bundesanwaltschefs wird allerdings zunehmend bezweifelt. Dieser hatte seine umstrittene Informationspolitik mit fahndungstaktischen Gesichtspunkten begründet: „Das Schweigen über die Vorlaufphase sollte nicht dazu dienen, Fehler zu vertuschen, sondern weitere Erfolge zu ermöglichen“, meinte von Stahl gegenüber der Welt. Nach der eidesstattlichen Aussage einer Zeugin und dem beharrlichen Abstreiten der GSG 9-Beamten steht nur eines fest: Einer lügt. Penner: „Herr von Stahl hat schon in der Vergangenheit nicht immer auf die penible Wahrung der Fakten geachtet.“

Die Fraktion der PDS/LL in Bonn erhielt am gestrigen Nachmittag einen anonymen Anruf. Der Anrufer, so PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke, „gab sich als Kollege der in Bad Kleinen eingesetzten Sicherheitskräfte aus.“ Er habe mitgeteilt, daß Wolfgang Grams unbewaffnet gewesen sei und ein Kollege der GSG 9 „die Nerven verloren“ habe. Hasso Suliak