Die RAF-Kommandogruppe ...

■ ... in der Vorstellungswelt der Staatsschutzbehörden

Der Aufstieg zum Top-Terroristen oder zur Top-Terroristin erfolgt meist ganz am Schluß: Bei der Festnahme. So auch am vergangenen Montag, nach der Verhaftung Birgit Hogefelds und der mutmaßlichen Exekution von Wolfgang Grams durch die GSG 9. Eine der „meistgesuchten Terroristinnen“ sei gefaßt, ein „Top-Terrorist“ habe einen Kopfschuß erlitten, berichtete das Blatt mit den großen Buchstaben. Beide „gehörten zur Kommandoebene der RAF“, und – so als habe der Schreiber geahnt, daß im Laufe der Woche erhöhter Erklärungsbedarf anfallen würde – „galten als besonders gefährlich“.

Der Begriff der Kommandogruppe ist eine Kopfgeburt der Staatsschutzbehörden, die damit die Illegalen der RAF von der Ebene der Unterstützer und von den RAF-Gefangenen abzugrenzen versucht. Zu Zeiten, als Fahndungserfolge noch häufiger zu vermelden waren, erfüllte er zusätzlich einen durchaus pragmatischen Zweck. Wer der Kommandoebene zugerechnet wurde, konnte auf traditionelle Verteidigung gleich ganz verzichten, denn er war für die Dauer seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft für alle Anschläge der RAF voll verantwortlich – unabhängig davon, ob er Fahrzeug- Dubletten herstellte, Autos oder Wohnungen anmietete oder selbst dem jeweiligen „Kommando“ angehörte. Mithilfe dieser „Kollektivitätsthese“ ersparte sich die Bundesanwaltschaft in gut einem Dutzend Prozessen, den Angeklagten einen individuellen Tatbeitrag nachzuweisen. Daran hielt sie auch dann noch fest, als die in der früheren DDR festgenommenen RAF- Aussteiger Anfang der 90er Jahre übereinstimmend berichteten, daß nicht alle Mitglieder im vorhinein über Ziel und Ablauf einzelner Aktionen unterrichtet wurden. Es gab eine gruppeninterne Informationshierarchie.

Der Kommandoebene gehört nach der Vorstellung der Fahndungsbehörden an, wer zwei Kriterien erfüllt. Erstens: Er oder sie muß eine zeitlang als RAF-Unterstützer, beispielsweise als BesucherIn von Gefangenen, aufgefallen sein. Zweitens: Er oder sie verschwindet vom „Radarschirm“ der Fahnder. So erging es auch Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams. Beide gehörten zur linksradikalen Szene, beide verschwanden im Jahr 1984. Textprobe dpa vom 12. Juli 1986: „Der Haftbefehl vom 4. Januar 1985 nennt sie neue Mitglieder der Rote Armee Fraktion, die sich ,in den vergangenen Wochen angeschlossen‘ haben. Rund 18 Monate später gelten sie bereits als mögliche führende Köpfe der RAF.“ Damit habe die RAF „wieder ein starkes Führungsteam“. Schade nur, daß die Behörden dazu laut dpa auch Sigrid Sternebeck, Werner Lotze und Inge Viett zählten, die seinerzeit alle drei schon seit Jahren einer nur bedingt revolutionären Tätigkeit in der DDR nachgingen. Ex-Verfassungsschutzchef Hellenbroich nannte alle zusammen gar eine „eingespielte Truppe“.

Was oder wer heute die Kommandogruppe der RAF darstellen könnte, ist den Behörden in Wirklichkeit vollkommen unklar. Sie ist vermutlich tatsächlich identisch mit allen Illegalen der RAF, also der „Untergrundgruppe“ (acht bis 15 Personen), was allerdings nicht so martialisch klingt. Es scheint wahrscheinlich, daß Hogefeld und Grams dieser Gruppe zuzurechnen sind. Sonst wären sie am vergangenen Sonntag nicht bewaffnet gewesen. Bei anderen auf Fahndungsplakaten „meistgesuchten TerroristInnen“ tappen die Fahnder nach wie vor im dunkeln. Manche spekulieren, daß es längst – neben den Spätheimkehrern aus der DDR – eine zweite Aussteigergruppe gibt.

Welche Rolle Grams und Hogefeld in der RAF in der Vergangenheit spielten, weiß momentan wohl niemand. Grams wurde lediglich Mitgliedschaft vorgeworfen, Hogefeld trat angeblich als Mieterin von Autos in Erscheinung, unter anderem im Zusammenhang mit dem glimpflich verlaufenen Anschlag auf den damaligen Staatssekretär Hans Tietmeyer im September 1988.

Die RAF selbst schrieb in ihrem sogenannten „August-Papier“ (1992): „Niemand von uns, die heut in der RAF sind, war vor 84 schon dabei.“ Diese Eingrenzung jedenfalls trifft auf beide zu. Sie verschwanden im Frühjahr 1984. Gerd Rosenkranz