„Er ist ein kämpferischer Typ“

Gesichter der Großstadt: Der Betriebsratsvorsitzende von Belfa, Peter Hartmann (50), hat einen kleinen Sieg errungen und trotzdem verloren  ■ Von Severin Weiland

Langsam und schwerfällig hatte Peter Hartmann am Telefon geklungen, ganz anders als sonst. Am nächsten Morgen gegen halb neun Uhr sitzt er am Tisch in der Kantine des Batteriewerks Belfa, hungrig, übermüdet und noch etwas fahrig. Fünf Tage Hungerstreik hatte der Fünfzigjährige zusammen mit 13 weiteren Kollegen hinter sich gebracht, als sie am Wochenende ihre spektakuläre Aktion auf dem Werksgelände schließlich beendeten. Einen kleinen Sieg haben sie gegen die Treuhand errungen und mit ihrer Aktion immerhin erreicht, daß eine Münchener Batteriehandelsgesellschaft das einstige DDR-Unternehmen in Treptow übernimmt und von 127 Arbeitsplätzen 82 sichert. 45 Kollegen aber, und zu ihnen gehört an diesem Morgen auch Hartmann, sollen gehen. Scheinbar gelassen spricht er über das Ergebnis, das zwei Tage zuvor von der Treuhand verkündet worden war. Noch ist für ihn nichts verloren, noch steht ein juristischer Kampf aus, mit dem er sich und seine 44 gekündigten Kollegen bei Belfa doch noch unterbringen will. „Klar“, sagt er, „bin ich egoistisch, klar will ich hierbleiben“, bekennt er ganz offen. „Es gibt doch wohl keinen anderen hier“, und er blickt dabei seine Kollegen am Tisch an, „der sich so den Arsch aufgerissen hat, oder?“ Die Kollegen nicken, nicht weil sie nicken müssen, sondern weil sie es ehrlich meinen.

Hartmann und Belfa – wann immer die Medien in den letzen zwei Jahren über den einstigen DDR- Gerätebatteriehersteller berichteten, tauchte diese Namenskombination auf. Hartmann, der allein lebt (seine Lebensgefährtin starb vor fünf Jahren), hat sich für seinen Betrieb, den die Treuhand schon längst abgeschrieben hatte, aufgerieben. Er ist durch die Republik gereist, hat mit Bundesministern gesprochen, dem Senat die Tür eingerannt, mobilisiert und Mut gemacht. Kollegen wie der Diplom-Chemiker Hans-Joachim Kiel (48) schätzen ihn: „Wenn Hartmann nicht gewesen wäre, hätten wir schon lange diese Bude nicht mehr.“ Hartmann, sagt Kiel, sei ein „unheimlich kämpferischer Typ“, der „ganz viel mit Emotionen gemacht und damit letzlich richtiggelegen hat.“ Wenn die Leute zu resignieren drohten, dann habe er sie wieder aufgerüttelt.

Daß in Hartmann Energien brodeln, wird jedem schnell klar, der nur ein paar Minuten mit ihm spricht. Wenn er über die Treuhand schimpft, über die „roten Socken“ in der Betriebsleitung, die früher zu den Treuesten gehörten und nun nicht gekündigt wurden, dann kommt er in Fahrt, wird sein Kopf bedrohlich rot. Für einige, erzählt Hartmann freimütig, „bin ich, wenn ich mich aufrege, sogar ein Choleriker“. 14 Jahre hat er bei Belfa gearbeitet, die meiste Zeit davon als Hilfsarbeiter an der Fließpresse. Das war ein lauter und dreckiger Job, aber mit 2.000 DDR-Mark netto einer der bestbezahlten Jobs im Werk.

Zur Belfa kam Hartmann nicht zufällig. Schon sein Vater hatte hier gearbeitet, später auch Mutter, Schwester und Schwager. Bevor er zu Belfa ging, war Hartmann in der Landwirtschaft tätig. Er machte seinen Abschluß als Diplom-Landwirt und war sogar eine Zeitlang Betriebsleiter einer „2000er industriemäßigen Rinderanlage“ im Kreis Jüterborg – ein DDR-Begriff, über den er heute noch lachen kann.

Schon zu DDR-Zeiten war er bei der Belfa, damals noch VEB BAE, als renitenter Mensch bekannt. Drei Arbeitsprozesse führte er gegen die Betriebsleitung. Als die Wende kam – damals zählte Belfa noch 500 Beschäftigte — wählten ihn die Kollegen zum Betriebsratsvorsitzenden. Er trat der SDP, der späteren DDR-SPD, bei. Der Entschluß, sich zusammen mit einem Freund den Sozialdemokraten am 15. Oktober 1989 anzuschließen, war eine „gründliche“ Überlegung, wie er sagt: „Immer haben wir nur gemeckert, irgendwann mußten wir auch einmal die Hosen runterlassen.“

Neben der SPD gehört er seit September 1992 noch der IG Metall an. Doch Hartmann, der Querkopf, macht davon lieber kein Aufheben. „Nur soviel: Ich habe mit beiden, SPD und IG Metall, so meine Probleme.“ Enttäuschungen hat er so manche in den letzten beiden Jahren erlebt. Die letzte datiert vom Donnerstag letzter Woche, als die Betriebsleitung der Belegschaft, die ihr Werk besetzt gehalten hatte, die Liste mit den 82 Namen präsentierte, die in dem neuen Unternehmen weiterarbeiten dürfen. Da seien „so einige umgekippt und nach Hause gegangen“, sagt Hartmann. Aber dann dreht er sich plötzlich um, deutet auf einen Kollegen neben sich und sagt: „Aber es gibt auch solche, die mit uns bis zum Schluß weitergehungert haben – trotz Zusage auf einen Arbeitsplatz.“ Es klingt, als mache er sich damit ein wenig Mut für das, was noch kommen wird.

Siehe auch Seite 14