■ Hinpinkeln und Hertänzeln
: Die Love-und- Nörgel-Parades

Die Arbeit und das Fest konstituieren das Soziale. Am Samstag fand auf dem Ku'damm wieder eine „Love Parade“ statt und rings um die Potsdamer Fußgängerzone das „PotsTausend“-Fest. Während die Parade aus nichts anderem bestand als aus fünf Tieflastern – vollgestapelt mit Krach-Gerät der aller-hifeinsten Sorte – die mehrere Stunden im Tanzschritt-Tempo den Damm hoch und runter fuhren, hatte man in Potsdam weder Kosten noch Mühe gescheut: Überall liefen preußisch kostümierte ABM-Kräfte herum, durch Funk und Fernsehen verbrannte Moderatoren peitschten Spaß und Frohsinn in die Mengen, 20.000 Tagestouristen taten hochinteressiert, und der ideelle Gesamtpotsdamer, in seiner ganzen gefährdeten Existenz, betrank sich entschlossen mit lauwarmem Rex-Pils, wenn er nicht nach einem kurzen mißvergnügten Rundgang gleich wieder erleichtert nach Hause ging. In der Kleinstadt, die nur Vergangenheiten (zumeist in Westbesitzerhänden) vor sich hat, war niemandem nach Feiern zumute: Echt nich!

Auf den Ku'damm waren etwa 17.000 Disco-Jugendliche aus ihren überschallten Strobolight-Löchern (in Mitte, Steglitz, Weißensee, Dülmen, Detmold, Cottbus und Köln) gekommen und tanzten stundenlang den Techno-Sound. Die rund 8.221 ausgelassenen Mädchen trugen zumeist schwarze Bikini-Oberteile beziehungsweise Bustiers und nicht selten ein dickes christliches Alu-Amulett am Hals. Bei den Jungs hatten sich mehr und mehr die Koteletten durchgesetzt und schwarze Kopftücher resp. Baseball-Kappen. Auf den Tieflastern wippten erstaunlich viele NegerInnen. Das gab dem ganzen Trubel einen Come-Together-Benetton-Anstrich. Den hat dieses multikulturelle Dreieck – zwischen KaDeWe, Zoo und Karree – auch sonst. Heuer wurde jedoch der Ku'damm mit den schweren Bässen wie behämmert. Eine einzige Flagge behauptete Bedeutung: schwarz mit einem Totenkopf drauf. Aber das piratenhaft Anarchistische wirkte auf dem Miet-LKW von Sixt eher satanisch nocturne. Wozu die vielen Kurzhaarschnitte nicht unwesentlich beitrugen. Auch ein ausgeschlachteter Düsenjäger auf einem LKW war allzu leicht verständlich, geradezu dialogfähig. Ansonsten ließ die Parade, auf der es merkwürdigste Disco-Reklameflugblätter als Konfetti regnete, nichts zu wünschen übrig. Das fanden auch die meisten Touristen, die der festen Meinung waren, das alles hätte der Senat speziell für sie arrangiert und finanziert. Helmut Höge