Die Frau mit der Holzhand

■ Die Tschechin Jana Novotna verlor in Wimbledon ein Finale, das sie gegen Steffi Graf praktisch schon gewonnen hatte / Boris Becker plant die nächsten zehn Jahre

Berlin (taz/dpa) – Kaum retten vor lauter Mitgefühl konnte sich Jana Novotna nach dem Wimbledon-Finale gegen Steffi Graf. Doch die 24jährige war absolut untröstlich. Tränenüberströmt lag sie der nächstbesten Person in den Armen, zufälligerweise der Herzogin von Kent, während Steffi Graf zum fünften Mal das „goldene Teetablett“ (Sunday Times) der Siegerin in die Luft streckte und ein miserables Gewissen hatte. „Ich fühlte mich schlecht“, gab sie hinterher zu, eine Art von Emotion, die nach Tennis-Siegen gemeinhin äußerst selten vorkommt.

Grund für die herzögliche Umarmung und die gräfliche Seelenunpäßlichkeit war das, was der Observer mit den Worten charakterisierte: „Der Tschechin ging auf dramatische Weise die Luft aus, als sei sie erwürgt worden.“ Etwas profaner drückte es der deutsche Damen-Teamchef Klaus Hofsäß aus: Novotna habe plötzlich „eine Holzhand“ gekriegt.

Anders als Lots Weib hatte sich Jana Novotna zwar nicht umgedreht, aber dafür auf die Anzeigentafel geschaut. Dort stand: 6:7, 6:0, 4:1. Zu ihren Gunsten. Von den letzten elf Spielen hatte sie zehn gewonnen und teilweise phänomenales Tennis gespielt. Sie erlief die unmöglichsten Bälle, jeder Schlag saß genau dort, wo er hinsollte. Zwei Spiele noch und der größte Triumph der Tschechin, die im Halbfinale Martina Navratilova bezwungen hatte, wäre perfekt gewesen. „Es ist aus“, dachte, wie sie später zugab, auch Steffi Graf, aber sie wollte es trotzdem noch einmal probieren und wechselte abergläubisch den Schläger.

Und plötzlich lief nichts mehr bei Novotna. Vor allem der bis dahin so perfekte Aufschlag kam nicht, mit einem Doppelfehler gab sie ihren Service zum 4:2 ab und gewann bis zum 4:6 kein Spiel mehr. „Ich war nicht nervös, ich war nur ein bißchen müde“, behauptete Novotna später, doch das nahm ihr niemand ab. „Kurz vor dem Wimbledon-Sieg ist die Pause beim Seitenwechsel so lang, da kommt man ins Denken“, meinte Hofsäß und Graf-Trainer Heinz Günthardt dachte schon weiter: „So eine Niederlage kann einem einen Knacks fürs Leben geben.“

Einen solchen hat Boris Becker nach seinem Ausscheiden im Halbfinale gegen Pete Sampras offenbar nicht bekommen. Im Gegenteil. Mit seinem, nun offiziellen, neuen Coach Eric Jelen peilt er große Ziele an. Zwar setze der Schmerz über das Ausscheiden langsam ein, doch ansonsten sei er guter Dinge, noch einmal die Nummer eins zu werden. Künftig will er wieder „der Spieler sein, der Bälle schlägt, die man nicht mehr trainieren kann“, und das möglichst noch zehn Jahre lang. „Körperlich und geistig“ sei er dazu in der Lage und im nächsten Jahr will er auch seinen Turnierplan auf das ambitionierte Vorhaben abstimmen. Sprich: um die Sandplätze einen großen Bogen machen.

Am Ende eines langen Gespräches mit ausgewählten Journalisten verriet er dann sogar noch, was er nach dem Viertelfinal-Sieg ins Ohr des unterlegenen Spielers Stich geflüstert hatte: „Laß uns das Buch zumachen.“ Matti