Das Bild und sein Rahmen

Blinky Palermo im Museum der Bildenden Künste Leipzig, ehemals Justizpalast  ■ Von Ulrich Clewing

Leipzig hat was. Das Museum der Bildenden Künste zum Beispiel, ehemals Justizpalast der Stadt. Ein typischer Monsterbau der Gründerzeit: die bürgerlich- neureiche Variante feudaler Prunksucht, von weitem pittoresk, aus der Nähe betrachtet, immer eine Spur zu groß geraten. Seit Juni sind dort – erstmalig in der Ex- DDR – 50 Arbeiten des gebürtigen Leipzigers Blinky Palermo zu sehen, darunter die komplette Druckgraphik. Zuvor gab es nur eine Gelegenheit, diesen Maler, der neben seinem Lehrer Joseph Beuys zu den wichtigsten Künstlern der turbulenten sechziger und siebziger Jahre zählt, ähnlich ausgiebig kennenzulernen: die große Retrospektive von 1984/85 mit Stationen in Winterthur, Bielefeld, Eindhoven und dem Centre Pompidou in Paris.

Palermo alias Peter Heisterkamp hatte Anfang der sechziger Jahre zusammen mit seinen Freunden Gerhard Richter, Sigmar Polke und Imi Knoebel an der Düsseldorfer Akademie studiert, zunächst bei Bruno Goller, dann bei Beuys, der ihn 1966 zu seinem Meisterschüler machte. Früh wurden Palermos auf geometrische Grundfiguren reduzierte Bilder und Objekte, die kargen Materialien und leuchtenden Farben, die er verwendete, einem breiteren Publikum bekannt. 1972 war er mit 29 einer der jüngsten Teilnehmer der documenta V, ein Jahr vor seinem Tod – er starb 1977 mit nur 34 Jahren an Herzversagen – gestaltete er den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig.

Der Versuch, die Malerei zu erneuern, zieht sich wie ein roter Faden durch Palermos Werk. Zu Beginn seiner kurzen Laufbahn noch ganz vom Informel beeinflußt, fand er, wohl angeregt durch Yves Klein und Lucio Fontana, bald zu einem eigenen unverwechselbaren Stil. In dem Bemühen, das Rechteck des Tafelbildes und damit die Konventionen der Malerei hinter sich zu lassen, baut Palermo 1964 sein erstes Wandobjekt: Ohne Titel (mit grünem Kreuz), einen mit Leinwand bezogenen, spärlich bemalten, etwa zwei Meter langen Holzstab, der an der Wand befestigt wurde. Ein solches Bild brauchte keinen Rahmen mehr – was durchaus auch im übertragenen Sinn gemeint war.

Durch seinen Münchner Galeristen Heiner Friedrich macht Palermo 1966 die Bekanntschaft mit Vertretern der amerikanischen Minimal-Art, mit Carl André, Dan Flavin und Donald Judd. Im selben Jahr formuliert er seine provokanteste Absage an die traditionelle Malerei. Die Stoffbilder entstehen: industriell gefärbte Leintücher, in breiten Bahnen aneinandergenäht und auf Keilrahmen gespannt. Mögen diese Bilder auch an die kurz davor entstandenen Gemälde von Barnett Newman oder Ellsworth Kelly erinnern, so sind sie doch weit weniger „sublim“, konsequenter in ihrer Ablehnung einer persönlichen Handschrift, profaner, witziger und intelligenter als die Hard-Edge-Paintings der Amerikaner.

Herausragende Bedeutung aber verdankt Palermo den Wandzeichnungen. Der Schritt, malerische Gestaltungsprinzipien auf den ganzen Raum auszudehnen und auf die spezifischen Gegebenheiten des Ortes hin zu inszenieren, hatte sich freilich schon in den Objekten angekündigt. Eine Rolle spielte dabei sicher der von Beuys geprägte Begriff der „Sozialen Plastik“ – der Performance, die den Betrachter dazu auffordern wollte, am künstlerischen Prozeß teilzuhaben. Nur selten haben sich diese Wandmalereien über die Dauer ihrer Ausstellung hinweg erhalten. Der von Gerhard Richter posthum in eine Art Mausoleum verwandelte Palermo-Raum im Münchner Lenbachhaus ist eine der wenigen Ausnahmen. In Leipzig sind die einzelnen Projekte dokumentiert durch Skizzen und Vorzeichnungen, die Palermo teilweise im nachhinein mit Fotos der jeweiligen Ausstellungssituationen versah.

Doch Palermos Entwicklung verlief längst nicht so homogen, wie es auf den ersten Blick erscheint. Neben den strengen Geometrien der Objekte und Stoffbilder zeichnete er lyrische Abstraktionen auf Packpapier, er arbeitete mit dem Fluxus-Künstler Henning Christiansen zusammen und experimentierte mit Reihungen: in Himmelsrichtungen stellt er mittels einfacher Farbverschiebungen von Rot, Gelb, Schwarz und Weiß vielteilige Beziehungen her – eine Folge seines Interesses für Konkrete Poesie. Dem Dichter Heinz Gappmayr widmete er einen Graphik-Zyklus.

Mit dieser zweifellos sehenswerten Retrospektive will der private und – das ist das Problem – derzeit noch heimatlose „Förderkreis der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst“ einmal mehr seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Er hat getan, was er konnte. Leihgaben aus ganz Europa herangeschafft, einen sorgfältig gemachten Katalog herausgegeben, und nicht zuletzt hat er um Sympathie geworben: „Wo und unter welchen Umständen diese Ausstellung stattfindet“, meinte Dr. Klaus Werner, Kunstwissenschaftler und designierter Direktor der noch zu bauenden Galerie, „ist weniger wichtig als die Tatsache, daß sie überhaupt zu diesem Zeitpunkt hier in Leipzig zustande kommt.“

Doch die Wahl des Ausstellungsortes erweist sich leider allzu offensichtlich als Notlösung. Wo eine Architektur wie die des Museums der Bildenden Künste hintritt, wächst kein Gras mehr. Manche der Objekte können vor den eilig aufgebauten Stellwänden nur hart an der Grenze zur Sinnentstellung präsentiert werden. Auch eine chronologische Hängung war wegen der baulichen Gegebenheiten in dem ehemaligen Justizpalast anscheinend unmöglich. Die Vertreter der Kommune und des Freistaates Sachsen, die dem Förderkreis bislang ihre Unterstützung bei der Suche nach geeigneteren Räumlichkeiten versagt haben, müssen offenbar erst noch von dem Nutzen eines Forums für zeitgenössische Kunst überzeugt werden.

Bis 15.8., Museum der Bildenden Künste Leipzig, Do.–So. 11–17 Uhr, Mi. 14–20 Uhr; eine Auswahl wird von 9.9. bis 20.11.93 im Kunstraum München zu sehen sein.