■ In der Türkei zündeten islamische Fundamentalisten ein Hotel an, 35 Menschen starben, Politiker äußern Verständnis: Ein anatolisches Rostock
Die Fernsehbilder erinnerten an Rostock. Unter dem Beifall von Demonstranten marschieren die Brandstifter ins Gebäude ein. Flammen gehen auf, die Versammelten johlen. Siegeszeichen. Bilanz der Barbarei: 35 Tote – bei lebendigem Leib verbrannt oder infolge von Rauchvergiftungen gestorben. Brandstiftung ist offenbar weltweit modernes „Kommunikationsmittel“ geworden. Ob es um Ausländer in Deutschland geht, die man am liebsten einfach vertreiben möchte, oder um säkulare türkische Intellektuelle, deren Meinung einem nicht paßt, das Rezept ist einfach: Man stecke ihre Häuser in Brand. Die islamischen Fundamentalisten in der Türkei sind das Gegenstück der deutschen Neonazis. Menschen, die angeblich nicht in die Gesellschaft passen, werden kurzum verbrannt. Die Muster gleichen sich. Den Brandstiftern wird Beifall geklatscht, der Feuerwehr die Zufahrt versperrt. Die Flammen symbolisieren den Siegeszug der Mörder. Und überall dieselben Gesichter. Auch in Sivas: Jugendliche mit baby face.
Es gab einst so etwas wie universale Menschenrechte. Es gab einst so etwas wie das Recht auf Leben. Längst haben die Politiker solche Grundsätze über Bord geworfen. Der türkische Staat hätte ohne Mühe das Massaker verhindern können. Doch die Verantwortlichen scheuten sich vor einem Einsatzbefehl gegen den Mob. Ein Einsatzbefehl gegen extremistische Moslems kostet Wählerstimmen. Man wolle die Bevölkerung und Sicherheitskräfte nicht gegeneinander aufbringen, hieß es. Selbst nach den Toten im Hotel verstieg sich der türkische Innenminister Gazioglu zu der Äußerung, die Ereignisse seien entstanden, weil der Schriftsteller Aziz Nesin „provoziert“ habe. Die Politiker versprechen, die Täter zu fassen, von der „Härte des Gesetzes“ ist die Rede. Doch klammheimlich schmieren sie den Mördern Honig ums Maul. Man hat „Verständnis“ für die „religiösen Gefühle“ der Menschen. Das nennt sich Ursachenforschung. Wie in der deutschen Politik. Zu den Brandstiftungen kommt es, weil es die „Asylantenschwemme“, „den Türkenberg“ und arbeitslose deutsche Jugendliche gibt.
Das norddeutsche Rostock und das zentralanatolische Sivas sind nur Mosaiksteine im Prozeß der Globalisierung. „Dem anderen wird das Dach über dem Kopf angesteckt.“ Die Mörder feiern. Sie siegen, weil die Häuser tatsächlich in Flammen aufgehen. Doch auch die Politik globalisiert sich. Die Politiker biedern sich bei potentiellen Wählern an, finden ungeheuerliche Begründungen, um Mord, Terror, Totschlag und Feuer „Verständnis“ entgegenzubringen. Einst hat es so etwas wie Anstand gegeben. Im Zuge der Globalisierung beherrschen weltweit Schmierfinken das Politikergeschäft. Ömer Erzeren, Istanbul
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