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Die Show der 7 lahmen Enten

Erstmals schreit das Publikum schon vor Beginn des weltgrößten Politspektakels „Aufhören!“ / Selten zeigt ein Wirtschaftsgipfelthema Folgen  ■ Von Donata Riedel

Tokio/Berlin (taz) – Nie zuvor hat die größte Politshow des Jahres schon vorab ein derart großes Gähnen ausgelöst. Vom 19. Weltwirtschaftsgipfel, zu dem sich die Regierungschefs der sieben reichsten Länder der Erde von Mittwoch bis Freitag in Tokio versammeln, erwarten selbst die regierungstreuesten Blätter nur eine Neuauflage der schönsten wirtschaftspolitischen Nullmeldung, die vom Münchner Gipfel anno 1985 stammt: „Nach langen Mühen wurde eine Erklärung für dauerhaftes Wachstum und höhere Beschäftigung vereinbart.“ Natürlich wird heutzutage „dauerhaftes“ durch „nachhaltiges“ Wachstum ersetzt, denn das soll belegen, daß die Präsidenten, Kanzler und Premiers aus den USA, Japan, der Bundesrepublik, Frankreich, Italien und Kanada (G-7) schon mal in irgendeiner Referentenvorlage etwas von der umweltbeeinträchtigenden Kehrseite des Wachstums (der „Club of Rome“ im Jahr 1972) gelesen haben.

Selbst die deutschen Greenpeacer glauben nicht, daß sich eine Teilnahme an einem Gegengipfel in diesem Jahr lohnen könnte – aus der Erkenntnis heraus, daß Umweltschutz nur dann auf dieser Ebene ernsthaft diskutiert wird, wenn, wie während des 1989er Gipfels in Paris, die G-7-Wirtschaft boomt. Jetzt aber herrscht in Kontinental-Europa Rezession, in Großbritannien beginnt ein Mini- Aufschwung, die US-Regierung glaubt, vor einem Boom zu stehen, und in Japan weiß man noch nicht so recht, ob das Konjunkturprogramm tatsächlich die Rezession verhindern wird. Die unterschiedlichen Ausgangslagen würden allein schon genügen, allzu große Gemeinsamkeiten der G-7 zu verhindern. In diesem Jahr aber kommt erschwerend hinzu, daß sich die TeilnehmerInnen gegenseitig nicht ernst nehmen.

Der gastgebende japanische Premierminister Kiichi Miyazawa steht kurz vor seiner Abwahl und wird von seinen eigenen Leuten gedrängt, sich ganz auf die bewirtende Rolle zu konzentrieren und keinesfalls im Wahlkampf aufzutauchen. Die neue kanadische Premierministerin Kim Campbell steht ebenfalls im Verdacht, die im Herbst anstehenden Wahlen nicht gewinnen zu können, während der Regierungschefsessel des italienischen Ministerpräsidenten Carlo Ciampi sowieso ein Schleudersitz ist.

„Bill Clinton quatscht zuviel“ ist nicht nur die Meinung des konservativen britischen Economist über den US-Präsidenten, sondern vermutlich auch die seiner europäischen Gipfelkollegen. In der vergangenen Woche schlug Clinton nämlich allen Ernstes vor, daß sich die G-7 auf ein Wachstumsziel für ihr jeweiliges Bruttosozialprodukt von drei Prozent festlegen sollen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wie denn die Rezessions-Länder das bewerkstelligen sollen. Auch die Handelsgespräche mit den „lahmen Enten“ Japans in der Woche vor dem Gipfel hätten sich die US-Amerikaner sparen können.

Der britische Premier John Major wiederum stimmte bereits vergangenes Jahr in München der Meinung eines frustrierten Dritte- Welt-Aktivisten zu, daß die endlos-recycelten Gipfel-Erklärungen an den Problemen der Welt nichts ändern werden. Nicht einmal die dienstältesten Gipfelteilnehmer François Mitterrand und Helmut Kohl ziehen mehr an einem Strang, seit die neue konservative französische Regierung mit Mitterrand auf internationaler Ebene nur noch Lobby-Politik für ihre heimischen Bauern betreibt. Daran scheiterte bereits der Kompromiß der EG mit den USA über eine langsame Senkung der Agrarsubventionen. In den Verhandlungen über eine Liberalisierung des Welthandelsabkommens Gatt (der sogenannten Uruguay-Runde) kann seither die EG nicht mehr mit einer gemeinsamen Verhandlungsposition auftreten.

So erwartet die 1.600 ausländischen und 10.000 japanischen JournalistInnen in Tokio der vierte Aufguß der Erklärung über die „Notwendigkeit, die Gatt-Verhandlungen bis zum Ende des Jahres erfolgreich abzuschließen“.

Die Deutschen immerhin haben sich in letzter Minute noch mit den neuen Sparplänen für den Bundeshaushalt und einer leichten Leitzinssenkung aus dem direkten Schußfeld der Kritik manövrieren können. Denn besonders von US- und britischer Seite war die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik kritisiert worden, mit ihrer Schuldenpolitik die Rezession in Europa zu verschärfen. Trotz der Signale an den Gipfel aber sinkt das wirtschaftspolitische Ansehen der Kohl-Regierung parallel zum Schrumpfen des deutschen Bruttosozialprodukts.

1991 in London und 1992 in München brachten wenigstens die Russen noch Schwung in die lahme Party. In London sangen die G-7- Regierungschefs in Downingstreet 10 noch mit Gorbi fröhliche Lieder ab. Und in München beeindruckte Boris Jelzin durch selbstbewußtes Auftreten, das der Reichenclub von finanziell Schlechtergestellten gemeinhin nicht erwartet. Doch bereits in München verkam das Geschachere um die Hilfsmilliarden für Rußland zum Ritual: Diverse „Pakete“ werden aus Teilpäckchen zusammengeschnürt, aber nicht abgesendet, sodann wieder aufgemacht, umgepackt, erneut zugebunden. Die letzte dieser Mogelpackung, aus der erst in der vergangenen Woche 1,5 Milliarden US-Dollar abgeschickt wurden, haben die G-7-Finanzminister im April vor dem russischen Referendum zusammengestellt. Eine Neuauflage des Rituals steht zu befürchten.

Manchmal allerdings werden Gipfel-Themen nicht nur von Abschlußdokument zu Abschlußdokument weitergeschleppt. 700 Millionen Dollar wollte Kohl in München zur Sanierung der nach einhelliger Expertenmeinung nicht sanierbaren Schrott-AKWs des früheren Ostblocks einsammeln. Der gemeinsame G-7-Fonds kam während des Gipfels zwar nicht zustande. Dennoch wurde Geld für die Nachrüstung der Reaktoren vom Tschernobyltyp RBMK und der älteren WWER-Generationen lockergemacht. Aus den Töpfen der EG-Hilfsprogramme für den Osten flossen seit München immerhin zwei Milliarden Mark.

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