Kämpfen ist Aziz Nesins Stärke

■ Der Schriftsteller und Vaterfigur der türkischen Intellektuellen scheut keinen Weg, um staatliche Unterdrückung aufzudecken

Der 78jährige Aziz Nesin war den Herrschenden in der Türkei schon immer ein Dorn im Auge. Der berühmte Schriftsteller, der über hundert Bücher veröffentlichte und zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen erhielt, hat stets gegen staatliche Unterdrückung und Bevormundung aufbegehrt. Mehrfach wurde er festgenommen. Er war der erste, der nach dem Staatsstreich 1980 ein Manifest gegen die Putschisten formulierte und dafür die Unterschriften von über tausend türkischen Intellektuellen sammelte.

Nesin ist eine Art Vaterfigur der türkischen Intellektuellen. Trotz seines Alters und seiner Gebrechen scheut er keinen Weg. Im vergangenen Jahr traf ich ihn in der kurdischen Stadt Sirnak, die vom türkischen Militär in Schutt und Asche gelegt worden war. Obwohl der kemalistischen Ideologie verbunden, schwieg er nicht: Er mobilisierte Öffentlichkeit gegen den Krieg in Türkisch-Kurdistan.

Aziz Nesin ist stur. Niemand vermag ihn von etwas abzuhalten, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat. „Die Reaktion und der religiöse Fundamentalismus erstarken. Wir müssen zeigen, daß wir keine Angst vor ihnen haben“, hatte Nesin vor Monaten verkündet. Die Veröffentlichung der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie in der von ihm mitherausgegebenen Tageszeitung Aydinlik (Erleuchtung) war für ihn nur Mittel zum Zweck. „Wenn in der Türkei Meinungsfreiheit herrscht, dann muß auch dieses Buch veröffentlicht werden können“, erklärte er. Den Einwand Rushdies, daß er die Veröffentlichung des Buches nicht mehr wünsche, ließ Nesin nicht gelten. „Nach all dem, was vorgefallen ist, kann der Autor das Buch nicht einfach aus dem Verkehr ziehen.“ Dabei herrschten unter den türkischen Literaturkritikern durchaus verschiedene Meinungen über die literarischen Qualitäten der „Verse“.

Wie recht Nesin hatte, zeigte sich nach dem Beginn der Rushdie-Serie in Aydinlik. Militante Moslems steckten Zeitschriftenbuden in Brand. Iranische Mullahs gaben Fatwas gegen Nesin ab. Als „dreckiger Schriftsteller“ wurde Nesin in der Teheraner Cumhuri Islami beschimpft. Der türkische Staat kuschte vor den extremistischen Moslems. Aydinlik wurde beschlagnahmt, mehrere Ausgaben der Zeitung wurden verboten. „Verleumdung des Propheten und der islamischen Religion“, begründete das Istanbuler Amtsgericht die Verbotsverfügung. Täglich schrieb Nesin in Kolumnen gegen die staatlichen Verbote, die die Gemüter extremistischer Moslems beruhigen sollten, an. Nesin, ein Meister satirischer Erzählungen, ließ es sich nicht nehmen, den Staatsschützern ein Schnippchen zu schlagen: Statt der „Satanischen Verse“ von Rushdie ließ er eines Tages in der Zeitung entsprechende Original-Koranverse nachdrucken. Das unkundige Gericht verbot wegen der Veröffentlichung des Koran die Zeitung.

In Sivas wäre er beinahe gelyncht worden. Doch Nesin ist unbeirrbar. Der Hochschullehrer Cevat Geray von der Fäkultät für politische Wissenschaften der Universität Ankara, der auch im Hotel weilte, spricht voller Ehrfurcht von Nesin, der es ablehnte, alleine gerettet zu werden. Als die Brandstifter eindrangen, half der 78jährige, Barrikaden zu errichten. „Nesin bereitete sich mit uns gemeinsam auf den Kampf vor.“ Kämpfen – das vor schon immer seine Stärke. Ömer Erzeren