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■ Press-SchlagZwei Haudraufs wie unter Drogen

Bitte wachen Sie wieder auf. Nun gut, wir sind immer noch hier, und es ist auch gleich vorbei, aber da müssen wir jetzt noch durch.

Links steht einer, rechts steht einer und dazwischen ist ein Netz. Daran läßt sich unschwer erkennen, daß es sich hierbei um Tennis handeln muß, aber der Rest hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was wahrscheinlich auch für Sie einmal die Faszination am Hin- und Herschlagen des Filzballs in jenem Vorort von London ausmachte. Das liegt vor allem daran, daß das Hin- und Herschlagen selbst so gut wie nicht mehr stattfindet. Im Endspiel der Männer zwischen den notorischen Haudraufs Pete Sampras und Jim Courier dauerte es bis zum 23. Spiel, ehe sich die erste Break-Chance bot, die auch noch ungenutzterweise verstrich. Zum Glück für Sie und die tatsächlich anwesenden Zuschauer, die wohl jetzt noch da säßen, haben die Verantwortlichen des All England Lawn Tennis and Croquet Club vor 21 Jahren den Tie-Break ins Allerheiligste einziehen lassen. Sampras gewann diese ersten beiden Tie-Breaks, verlor Satz drei mit 3:6 und gewann den vierten 6:3, reckte die Arme in die Höhe, schüttelte der Herzogin von Kent die Hand, küßte dann den Pokal, kassierte 305.000 Pfund und ging. Wimbledon war vorbei, und alles war so wie immer gewesen, nur langweiliger.

Man stelle sich nur vor, Boris Becker wäre im Viertelfinale gegen Michael Stich ausgeschieden, was für ein Bild dreister Langweiligkeit sich im Halbfinale geboten hätte. Neben Stich, Sampras und Edberg hätte selbst Courier noch so etwas wie Persönlichkeit dargestellt und wenn nur wegen dieser unsäglichen Mütze. So aber fanden sich unter den letzten vier exakt die ersten vier der Setzliste — so etwas hatte es in Wimbledon noch nie gegeben. Jetzt dürfen Sie gähnen. Beim Turnier der Favoritenstürze war es sonst nur noch riskanter gewesen, auf das Wetter zu wetten: zum ersten Mal seit 1967 ging Wimbledon ohne Regen zu Ende. Wer darauf gesetzt hatte, wird nun mit der Gewinn- Quote 1:1.000 belohnt.

Das Geprügel auf dem staubigen Centre Court ist so eintönig, daß die Matches eher an böse Drogenerfahrungen erinnern als an Tennisspiele. Hätte sich Andre Agassi nicht samt seinem hamburgergestählten Gesäß bis ins Viertelfinale gequält, hätte er sich seine Brustbehaarung nicht abrasiert und wäre Barbra Streisand nicht in der Loge herumgetollt, Wimbledon 1993 wäre so schnell verpafft wie ein zu dünn gerollter Joint: Die Zeit dehnt sich aus, die Lider werden schwer, allein das eigene grummelnde Schnarchen bringt einen zurück ins Leben. Damit können Sie jetzt wieder anfangen. to

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