Unheilige Allianz „säubert“ Bosnien

Die bosnische Regierungsarmee führt einen verzweifelten Abwehrkampf gegen das neue Militärbündnis zwischen Serben und Kroaten / Flüchtlinge zwischen allen Fronten  ■ Von Erich Rathfelder

Split (taz) – Es ist ein verzweifelter Aufruf, mit dem sich die Behörden der zentralbosnischen Stadt Maglaj gestern an die Welt wandten. Dringend bitten die Menschen die Vereinten Nationen um Hilfe für ihre Stadt, die nach ihren Vorstellungen zur UNO-Schutzzone erklärt werden soll. Seit Tagen ist die Stadt von den seit einigen Wochen gemeinsam operierenden bosnisch-serbischen und bosnisch- kroatischen Verbänden der beiden Nationalistenführer Radovan Karadžić und Mate Boban eingeschlossen. Maglaj wird mit Artillerie beschossen, Medikamente und Lebensmittel sind nach Aussage der Stadtverwaltung nicht mehr vorhanden.

Die kaum 30 Kilometer entfernte Stadt Tesanj ist von der gleichen unheiligen Allianz eingeschlossen. Auch hier stehen die Streitkräfte Bosnien-Herzegowinas in einem verzweifelten Abwehrkampf gegen die serbisch- kroatische Offensive, auch hier sind über 30.000 Menschen eingekesselt. Die Verwundeten in der seit Wochen unter Artilleriebeschuß liegenden Stadt können nicht mehr versorgt werden. In einem über Satellit geführten Telefongespräch hatten Vertreter Tesanjs schon vor einer Woche einen Hilferuf an die Welt entsandt. Doch bei den von dem EG-Vermittler Lord Owen geleiteteten „Friedensverhandlungen“ in Genf wurde die Lage Menschen in Zentralbosnien offenbar nicht einmal erwähnt.

Dabei ist Zentralbosnien nun schon seit Mitte April durch die kroatischen Streitkräfte von der Versorgung der Zivilbevölkerung durch private Konvois abgeschnitten. Auch die Lager des UNHCR sind leer oder nur halb gefüllt. Schon seit Monaten stockt die Zufuhr an Hilfsgütern, so daß auch unter güstigeren Umständen die Bevölkerung nur unzureichend versorgt werden könnte. In Sarajevo sind die Rationen auf täglich 25 Gramm pro Person reduziert worden, in den Regionen um Zenica und Tuzla und in den muslimischen Enklaven ist Hunger an der Tagesordnung. Dem Verdacht, die internationalen Organisationen erhöhten mit ihrer Politik der knappen Hilfslieferungen den Druck auf die bosnische Regierung, einer politische „Lösung“ gemäß den Vorstellungen Karadžićs und Bobans zuzustimmen, wird von untergeordneten Mitarbeitern nicht widersprochen. Offiziell wird ein solcher Zusammenhang jedoch strikt dementiert.

Serbokroatische Allianz

Seit dem Treffen des selbsternannten „Präsidenten“ der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, mit dem Vorsitzenden des „Kroatischen Verteidigungsrates“ HVO, Mate Boban, im montenegrinischen Badeort Herceg-Novi am 25. Juni operieren die serbisch-bosnischen und kroatisch-bosnischen Truppen im Zentrum der exjugoslawischen Republik gemeinsam gegen die bosnische Armee. Offenbar ist es den beiden Nationalistenführern gelungen, sich im Grundsatz auf den Verlauf der zukünftigen Einflußsphären in Bosnien zu einigen.

Wie aus dem Hauptquartier Bobans im westherzegowinischen Grude zu erfahren war, könnte die gemeinsame Eroberung Maglajs Ausgangspunkt für Verhandlungen über eine Grenzziehung zwischen den beiden ehemals verfeindeten Parteien sein.In der Region um Maglaj liegt der serbische Bevölkerungsanteil bei rund 30, der Anteil der Kroaten lediglich bei 15 bis 18 Prozent. Hier sind die neuen Partner offenbar übereingekommen, das Gebiet nach der gemeinsamen Eroberung und anschließender „ethnischer Säuberung“ der muslimanischen Bevölkerungsmehrheit dem serbischen Einflußbereich zuzuschlagen. Als Entschädigung sollen zur Zeit von Serben besetzte Gebiete im Westen Bosniens an die kroatische Einflußsphäre angegliedert werden.

Der legalen Armee Bosnien- Herzegowinas bleibt in dieser Situation nur der verzweifelte Abwehrkampf gegen die übermächtigen und verbündeten Gegner – nicht nur in der Region um Maglaj. In Mostar, wo über 50.000 Menschen durch Serben, vor allem aber durch die HVO-Truppen eingeschlossen und von der Wasser- und Lebensmittelzufuhr abgeschnitten worden sind, unternahm die bosnische Armee Mitte der letzten Woche einen Ausbruchsversuch. Es gelang den unter dem Kommando des Muslimanen Arif Pašalić stehenden Verbänden, einige Stadtteile Mostars zurückzuerobern und eine HVO-Kaserne einzunehmen. Fünf HVO-Soldaten starben, über 35 Gefangene wurden gemacht.

Doch nachdem die kroatische Seite am 1. Juli mit einer Generalmobilmachung in der südlichen Westherzegowina antwortete, hat sich das Kriegsglück wieder gewendet. Die bosnische Armee scheint auf ihre Ausgangsstellungen zurückgedrängt, der Belagerungsring um die Altstadt von Mostar ist wieder festgezogen.

Verstärkte „Säuberungen“

Oberhalb Mostars ist die Lage unübersichtlich. Jablanica ist in der Hand der bosnischen Armee, das unterhalb der Stadt gelegene Wasserkraftwerk soll nach Berichten der UN-Schutztruppen im ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR) ebenfalls von Bosniern kontrolliert werden. Auch das benachbarte Konjić ist nach wie vor in der Hand der bosnischen Armee, sieben kroatische Dörfer sind dort von muslimanischen Milizen und regulären Einheiten eingeschlossen. Immerhin ließen die Soldaten bisher die Hilfslieferungen des UN- Hochkommissariates für Flüchtlinge (UNHCR) noch vor zwei Wochen Lebensmittel in die belagerten Dörfer bringen.

Auch in der nahe Sarajevo gelegenen Stadt Kiseljak kämpfen Serben und Kroaten gemeinsam gegen die bosnische Armee. In den benachbarten Regionen um Vitez und Travnik flieht seit den Kämpfen vom 21. Juni die kroatische Bevölkerung. Auf Befehl der kroatischen HVO wurden die Menschen von 15 Dörfern evakuiert und über die Demarkationslinie hinweg auf die serbische Seite geleitet. Flüchtlinge berichteten am Sonntag in der von der HVO kontrollierten westherzegowinischen Stadt Pošušje, in den Dörfern Torinje, Senkovici, Kopila und Vodovod sei es zu regelrechten Massakern an der kroatischen Bevölkerung durch Einheiten der bosnischen Armee gekommen.

Angst und Panik

Auch die kroatische Bevölkerung um Kladanj, Vares und Olovo ist in Gefahr geraten. Die Menschen sollten nach Aufrufen der HVO evakuiert werden, doch wurden viele Flüchtlinge an der serbischen Demarkationslinie zurückgewiesen. Nach Angaben des kroatischen Erzbischofs von Sarajevo, Vinco Piljić, herrscht Panik und Angst unter der kroatischen Bevölkerung der Region. Zwar begrüßt Piljić die von der bosnischen Regierung ausgesprochenen Garantien für Leben und Eigentum der kroatischen Bevölkerung, doch hegt er Zweifel daran, ob die Versprechungen angesichts der nicht kontrollierbaren Lage auch eingehalten werden können.

Von der westherzegowinisch- kroatischen Führung um Mate Boban sind nicht einmal solche Versprechungen zu hören. Statt dessen sind bosnisch-muslimanische Flüchtlinge unter starken Druck geraten, nach Angaben von Vertretern der deutschen Hilfsorganisation von Cap Anamur sogar in Lebensgefahr. Aus den Lagern in Pošušje wurden Anfang letzter Woche alle Muslimanen mit Gewalt entfernt, viele von ihnen konnten aufgrund der Hilfe italienischer Hilfsorganisationen nach Italien ausreisen. In der südwestlich von Mostar gelegenen Stadt Čaplina, wo Cap Anamur ein Flüchtlingslager unterhält, wurden sogar drei Soldaten, die, obwohl Muslimanen, bei der HVO gekämpft hatten, am Samstag verhaftet. Nächtliche Polizeirazzien und Drohungen sollen die noch 130 muslimanischen Flüchtlinge einschüchtern. Die Organisation bemüht sich nun darum, die Erlaubnis der deutschen Behörden zu erhalten, die Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen.

Bevölkerungsaustausch nicht mehr zu stoppen

Wie von Flüchtlingen zu hören ist, soll nun sogar die ansässige muslimanische Bevölkerung der Westherzegowina und des Neretva-Tales das Gebiet verlassen. Es sollen in der Nähe von Čaplina schon verschiedene Lager eingerichtet worden sein. Die Welle der ethnischen Säuberungen und des Bevölkerungsaustausches scheint nicht mehr gestoppt werden zu können. Für Stjepan Klujić, Ex-Vorsitzender der kroatischen Partei HDZ in Sarajevo, der im März letzten Jahres von Mate Boban entmachtet wurde, stellt dieser Umstand die „größte Tragödie des bosnischen Kroatentums“ dar. Die Kroaten, mit rund 18 Prozent der Bevölkerung bis auf die geschlossenen Siedlungsgebiete in der Westherzegowina über das ganze Land verstreut, würden nun zerrieben.

Scharf kritisierte Klujić vorige Woche in Sarajevo die Politik seines Nachfolgers Boban. Indem der Krieg angeheizt werde, solle die Politik des Bevölkerungsaustausches und der ethnischen Segregation als „vernünftige“ Regelung erscheinen.

Indem das Zusammenleben der unterschiedlichen Nationen verunmöglicht werde, führten der kroatische Präsident Franjo Tudjman und der bosnische Kroatenführer Boban die Kroaten der Region in die Katastrophe. Vehement trat Klujić für die Existenz eines bosnischen Staates ein und unterstützte trotz Kritik in vielen Einzelfragen die grundsätzliche Linie der bosnischen Führung unter Präsident Alija Izetbegović. Sollten die Nationalisten sich durchsetzen und es zu einer Teilung des Landes kommen, will Klujić eine Massenbewegung zur Wiederherstellung des multinationalen Bosniens gründen.