Vom US-Verbündeten zum Terroristen

Der islamische Geistliche Sheikh Abdel Rahman wurde in den USA verhaftet  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es war das medienwirksamste Ereignis seit der Landung der US- Marines am Strand von Mogadischu. 24 Stunden lang waren sich FBI-Beamte, Polizisten und ein immenses Aufgebot an Fotografen und Fernsehteams vor der Abu- Bakr-Elseddique-Moschee in Brooklyn gegenseitig auf die Füße getreten und hatten auf die Verhaftung jenes Mannes gewartet, der zumindest in New York noch vor Saddam Hussein als der Landesfeind Nummer eins gilt: Sheikh Omar Abdel Rahman.

Der 55jährige erblindete islamische Geistliche aus Ägypten, der als eines der geistigen Oberhäupter der dortigen Gamaat Islamya gilt, lebt seit 1990 im US-amerikanischen Exil. Einige Mitglieder seiner Gemeinden in New Jersey und New York sollen nicht nur für das Attentat auf das World Trade Center verantwortlich sein, sondern haben angeblich auch Bombenanschläge auf das UNO-Hauptquartier, das FBI-Hauptgebäude in Manhattan und auf zwei Autotunnels in New York geplant.

Seither geht erstmals in der Geschichte der USA die Angst vor dem Terrorismus um. Was unter dem Schlagwort „islamischer Fundamentalismus“ bislang nur im Auslandsteil der Tageszeitungen zu finden war, ist nun Bestandteil der Inlandsnachrichten – und politische Manövriermasse für die nächsten Gouverneurswahlen im Bundesstaat New York. Konservative Politiker hatten in den letzten Wochen immer wieder schärfere Kontrollen bei der Einwanderungsbehörde und die Einführung der Todesstrafe verlangt – und die Verhaftung Abdel Rahmans, der in den Bedrohungsszenarien als Drahtzieher hinter den Kulissen gehandelt wird.

Für eine Anklage vor einem Strafgericht reichen die Verdachtsmomente gegen den Geistlichen gleichwohl nicht aus. Nachdem seine Aufenthaltserlaubnis zurückgezogen und der folgende Asylantrag abgelehnt worden ist, läuft gegen ihn lediglich ein Abschiebeverfahren, für dessen Dauer man ihm eigentlich zugesichert hatte, auf freiem Fuß zu bleiben. Doch letzten Mittwoch gab US-Justizministerin Janet Reno dem politischen Druck nach und stimmte Rahmans Festnahme wegen „Fluchtgefahr“ zu. Von seinen empörten Anhängern und den Fotografen eskortiert, verließ Abdel Rahman Freitag nacht seine Moschee in Brooklyn und stellte sich den Beamten.

In ihrer Panik vor dem „islamischen Terror“ im eigenen Land vergessen die Amerikaner gern, daß Abdel Rahman einst zu ihren Verbündeten gehörte. Während des Afghanistankriegs unterhielt der amerikanische Geheimdienst CIA beste Kontakte zu Rahman. Er war an der Rekrutierung moslemischer Kämpfer für die von den USA unterstützten afghanischen Mudschaheddin beteiligt. Einer der Tatverdächtigen im Fall des Bombenanschlags auf das World Trade Center soll in Afghanistan mitgekämpft haben.

Mit über drei Milliarden Dollar hatten die USA, vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt, den Widerstand gegen das von Moskau installierte Regime in Kabul finanziert. Ein Großteil des Geldes ging an Gulbuddin Hekmatyars Fraktion, der sich inzwischen nicht mehr nach dem Gusto der einstigen Förderer verhält und unter anderem Saddam Hussein im Golfkrieg unterstützte. Tausende islamischer Kämpfer aus dem Afghanistankrieg, deren militärische Ausbildung die CIA finanzierte, sind inzwischen in ihre Heimatländer im Nahen Osten und im Maghreb zurückgekehrt, manche sind aber auch in die Vereinigten Staaten emigriert.

Im Fall von Sheikh Omar Abdel Rahman, so wird spekuliert, könnten die guten Kontakte zur CIA sogar den Weg geebnet haben, auf dem der Ägypter 1990 in die USA gelangte: Obwohl sein Name vom US-Außenministerium auf der Liste der „unerwünschten Personen“ geführt wurde, erhielt er von der US-Botschaft im Sudan ein Visum und wenig später eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis von der Einwanderungsbehörde.

Im Jargon der US-Geheimdienste handelt es sich hier um ein „Entsorgungsproblem“. Gemeint sind kaltgestellte ehemalige Verbündete, die mit amerikanischen Geldern für den Kampf gegen sozialistische Regimes ausgebildet wurden und deren Aktivitäten sich nun gegen amerikanische Interessen richten könnten. Der interne Untersuchungsbericht des Außenministerium bestreitet, daß die CIA Abdel Rahman Hilfestellung geleistet hat. Seine reibungslose Einreise sei ausschließlich auf Schlampereien in den Behörden zurückzuführen.

Der einstige Verbündete und jetzige Landesfeind würde den USA noch einige Zeit erhalten bleiben, wenn er alle Berufungsmöglichkeiten in seinem Asylverfahren in Anspruch nähme. Doch womöglich wird das „Entsorgungsproblem“ jetzt per Auslieferung nach Ägypten gelöst. Am Samstag beantragte die Regierung in Kairo seine Auslieferung.