Stahl-Skandal: Eitelkeit kommt vor dem Fall

■ Generalbundesanwalt schaltete bei der Entscheidung über den „Zugriff“ Kollegen aus / BAK-Bericht schweigt zu Grams' Exekution

Berlin (taz) – Daß Alexander von Stahl noch als Generalbundesanwalt ins nächste Wochenende geht, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Nicht nur, weil Innenminister Seiters schon die Rücktrittskonsequenz gezogen hat. Allmählich dringen auch Nachrichten über interne Abläufe in der Bundesanwaltschaft an die Öffentlichkeit, die von Stahls Rolle nicht gerade in einem günstigen Licht erscheinen lassen. Wie die taz erfuhr, schaltete der oberste Ankläger der Republik den amtierenden Leiter der zuständigen Abteilung „Innere Sicherheit“ bei der Bundesanwaltschaft im Vorfeld der katastrophalen Aktion bewußt aus. Peter Zeiss erfuhr erst im nachhinein von der Aktion in Bad Kleinen. Beamte des sogenannten „Fahndungsreferats“ wurden – unter Androhung der Entlassung – vergattert, Zeiss nicht zu unterrichten. Nach taz-Informationen hat von Stahl unter Mißachtung der behördeninternen Strukturen die Angelegenheit an sich gezogen und die fatale Zugriffsentscheidung allein, lediglich im Austausch mit dem Fahndungsreferat und dem Bundeskriminalamt, getroffen (ausführlich siehe Seite 3).

Den Rücktritt von Stahls forderten gestern verschiedene SPD-Politiker und das Bündnis 90/Die Grünen. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Irmgard Schwaetzer dagegen stützte ihn und betonte, von Stahl selbst habe einige „zusätzliche Informationen“ angekündigt.

In dem BKA-Bericht, dessen Veröffentlichung gestern nachmittag zunächst immer wieder verschoben worden war, wird der entscheidende Moment wieder einmal ausgespart. Zitat: „Der genaue Geschehensablauf, der zum Tod von Wolfgang Grams führte, ist Gegenstand des Todesermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Schwerin und kann deshalb hier nicht dargestellt werden.“

Das Bundeskriminalamt (BKA) selber hat behauptet, tagelang von der GSG 9 nicht über den Hergang der tödlichen Schießerei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen informiert worden zu sein. Das geht aus einem AFP vorliegenden Protokoll der Sitzung des Bundestags-Innenausschusses vom vergangenen Mittwoch hervor, wo der zuständige BKA-Abteilungsleiter den Hergang schilderte: „Wir haben von der GSG 9 her keine Darstellung, keinen Verlaufsbericht.“

Bundeskanzler Kohl nominierte gestern den hessischen CDU-Vorsitzenden Manfred Kanther als künftigen Bundesinnenminister. Zu seiner Vereidigung wird der Bundestag vermutlich zu Beginn der nächsten Woche zusammentreten. Kanthers gestrige Parole bewegte sich ganz im Jargon der Ereignisse von Bad Kleinen: ohne nähere Kenntnisse der Einzelheiten „keine Schnellschüsse“. Die Aufklärung des GSG-9-Einsatzes sei aber seine wichtigste Aufgabe.

Die SPD bezweifelte gestern, daß er der Aufgabe gewachsen ist. Ihr innenpolitischer Sprecher Gerd Wartenberg sagte, Kanther verfüge weder über bundespolitische Erfahrungen noch sei er ein ausgewiesener Innenpolitiker. Tagesthema Seite 3

Porträt von Manfred Kanther Seite 4

Kommentar Seite 10