■ Verkehrspolitik im Keller
: Doppelbödig

Wenn der Senat mit Pferdestärke neue Wege in der Verkehrspolitik sucht und er dabei unversehens an die Bordsteinkante stößt, wenn der Konflikt zwischen Stadtbild und Fahrbahn, zwischen Ökologie und Mobilität unausweichlich wird, dann geht er neuerdings mit Vorliebe in den Untergrund. Ob vielleicht unter dem Brandenburger Tor oder, wie gestern beschlossen, unter dem Leipziger und Potsdamer Platz, der Tunnel wird zunehmend als Möglichkeit entdeckt, dort wo kein Kompromiß mehr möglich ist und wo die Politik keine Entscheidung treffen will, auszuweichen, genauer gesagt, abzutauchen. Oberflächlich wird der Schein erweckt, als wären die Interessen beider Lager füglich in Einklang gebracht, was gemeinhin schon als Qualität an sich verkauft und allzu häufig auch angenommen wird. Dem Senat ermöglicht es, Handlungskompetenz zu zeigen, wo keine alle Seiten befriedigende Lösung gefunden werden kann und jedem der Beteiligten klar ist, daß es sich lediglich um einen Problemaufschub auf Zeit handelt.

Diese Art von Konfliktvermeidung hat ihren Preis – und der ist nicht gering. Das jüngste Beispiel dieser im wahrsten Sinne doppelbödigen Planung, der Straßenbahntunnel unter dem Leipziger und Potsdamer Platz, wird immerhin mindestens 200 Millionen Mark verschlingen. Ein Betrag, der, um ein aktuelles Beispiel aufzugreifen, das Schiller Theater bei einigem Geschick bis ins nächste Jahrtausend gerettet hätte. Doch was ist eine Feuilletonrevolte schon gegen die Geneigtheit einer Bundesbauministerin?

Tunnelbauten wie die jetzt avisierten sind, stadtplanerisch betrachtet, Relikte der sechziger Jahre, als Verkehrspolitik noch nach Art der Modelleisenbahnbauer betrieben wurde. In Charlottenburg bemüht man sich derzeit, eines der damaligen Vorzeigeprojekte, den Tunnel am Breitscheidplatz, wieder dem Erdboden gleichzumachen. Den Stau vermochte auch er nicht aufzulösen, nun soll die Barriere zwischen dem Breitscheidplatz und dem Bikinihaus verschwinden. An der Leipziger und Potsdamer Straße wird es keine dreißig Jahre dauern, bis die gleiche Diagnose gestellt und der gleiche Wunsch bei Anwohnern, Touristen und Geschäftsleuten auftauchen wird. Dieter Rulff