Von Stahl zum alten Eisen

■ Generalbundesanwalt wird entlassen / BKA: Grams durch eigene Waffe getötet – aber von wem? Unfall-Hypothese löst Mordtheorie ab

Berlin/Wiesbaden (taz) – Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (FDP) hat ausgedient. Bundesjuztizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (auch FDP) entschied gestern abend, daß der Meister der Desinformation in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird. Die Bedeutung seines Amtes lasse eine lang andauernde Diskussion um seine Amtsführung nicht zu, erklärte die Ministerin im Hinblick auf die schweren Vorwürfe in Zusammenhang mit der GSG-9-Aktion in Bad Kleinen. Gleichzeitig erklärte sie: „Generalbundesanwalt von Stahl hat sich nach Kräften dafür eingesetzt, daß schreckliche Geschehen in Bad Kleinen aufzuklären. Dafür und für seine bisherige Arbeit schulden wir ihm Dank“. Als Nachfolger ist nach taz-Informationen der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen im Gespräch.

Zu den Vorfällen in Bad Kleinen erklärte das Bundeskriminalamt gestern, Wolfgang Grams sei in Bad Kleinen durch seine eigene Waffe zu Tode gekommen. Entsprend sei das Ergebnis eines zweiten kriminaltechnischen Gutachtens, das gestern mittag in Wiesbaden vorgestellt wurde. BKA-Chef Zachert war dazu extra aus der Kur herbeigeeilt. Das Rechtsinstitut Münster kommt, ebenso wie die Rechtsmedizin der Uni Lübeck, zu dem Ergebnis, daß Grams durch einen „absoluten Nahschuß“ starb. Das Stampfmarkenprofil an seiner Schläfe weise nur mit der Pistole von Wolfgang Grams Übereinstimmung auf. Zachert stellte, in Anlehnung an die Selbstmordthese vergangener Tage, in den Raum, daß Grams sich auch versehentlich selbst erschossen haben könne. Möglicherweise sei er „getaumelt“, als er auf die Bahngleise fiel. Dabei könne sich bei einer „scharf geladenen“ Waffe mit „ganz leichtem“ Druckpunkt durchaus noch ein Schuß gelöst haben. Er sei aber „vorsichtig mit Spekulationen“.

Die Schmauchspuren an Grams' Kopf konnte Zachert bei dem von ihm angenommen Tathergang allerdings ebensowenig erklären wie die Tatsache, daß der getötete Polizeibeamte außer dem tödlichen Brustschuß auch eine Schußverletzung an der Körperrückseite erlitt. Ebensowenig wußte er vorerst eine Antwort darauf, wie der Beamte, der nach früheren Angaben noch auf der Bahnsteigtreppe von oben tödlich getroffen wurde, dann noch auf den Bahnsteig gelangte.

Laut Aussagen von beteiligten Beamten habe einer von ihnen die Pistole, die Grams auf die Gleise fallen gelassen habe, auf den Bahnsteig gelegt. Niemand habe mit einer Waffe auf ihm gekniet, sondern nur zwei Männer „in Sicherheitsanschlag“ über ihm gestanden. Grams sei zu diesem Zeitpunkt schon „reglos“ dagelegen.

Zachert räumte ein, es seien bei der Koordination der Informationen von zwei Staatsanwaltschaften, vier Behörden und sieben Gutachterstellen Fehler gemacht worden: „Sie haben sicher einen ganz erheblichen Informationsbedarf.“

Energisch widersprach er dem Gerücht, in Bad Kleinen sei „ein dritter Mann entkommen“. Daß der Polizist von einem Querschläger getroffen worden sei, schloß er aus. Insgesamt sei der „Erfolgsgrund“ der Fahndung nach „ganz gefährlichen Terroristen“ durch die zwei Toten beträchtlich geschmälert. Das Ergebnis sei „entsetzlich“.

Die Schweriner Staatsanwaltschaft hat neun Tage nach der Schießerei auf dem Kleinstadtbahnhof gestern erstmals Beamte der GSG 9 vernommen. Heide Platen/klh

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