Wenn Flüchtlingsströme rückwärts fließen

■ In Mosambik organisiert die UNO die weltweit größte Repatriierungsaktion

Vilankulo (taz) – Die Matratzen des malerisch am Indischen Ozean gelegenen Hotels von Vilankulo scheinen älter zu sein als Mosambiks 18jährige Unabhängigkeit. Ein paar Kekse und Mangos, ein paar Früchte und jede Menge Erdnüsse bilden das Sortiment der Marktfrauen neben einer verschimmelten Halle. An einigen Häusern wird eifrig renoviert. In der einzigen Diskothek schwofen ehemalige Dorfbewohner, die zu einer Stippvisite aus der 800 Kilometer entfernten Hauptstadt Maputo in das Städtchen mit dem idyllischen Strand heimgekehrt sind. Mosambiks Bürgerkrieg ist – zumindest vorläufig – vorüber. Aber die Menschen, die in Hunderten von Strohhütten am Rand von Vilankulo leben, plagen andere Sorgen.

Am 16. Juni startete die Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) die Repatriierung von fast 1,5 Millionen Mosambikanern aus den Nachbarländern – die größte Rückführung in der Geschichte der UNO. Sie soll ein Beispiel für die insgesamt sieben Millionen Kriegsflüchtlinge in Afrika sein: „Freiwillige Repatriierung“ sei der „einzig gangbare Weg“ für die über sieben Millionen Flüchtlinge in Afrika, ließ kürzlich UN-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata verlauten.

Aber die Bewohner am Stadtrand von Vilankulo gehören zu den fünf Millionen Vertriebenen, die während des Krieges zwischen der Regierung und der von Südafrika unterstützten rechtsgerichteten Rebellenbewegung Renamo Hab und Gut verloren, jedoch nicht ins Ausland flohen. Jetzt fürchten die Kleinbauern die Konkurrenz der Rückkehrer bei den Bemühungen um den spärlichen Ackerboden. Das von der UNO verfaßte „Notprogramm für Wiederaufbau 1993/1994“ handelt das Problem mit zwei einfachen Sätzen ab: „Landverteilung und Besitz bleiben ein Hindernis für die Wiederansiedlung. Ohne eine klare Politik wird es vor allem in fruchtbaren Gebieten Landkonflikte geben.“

Jahrelang war Vilankulo sprichwörtlich von der Außenwelt abgeschnitten. Alle zwei Wochen brachte ein schwerbewachter Lastwagenkonvoi Treibstoff und Lebensmittel. Reisende nahmen entweder das Flugzeug oder einen der wackligen Küstenkutter. Die Isolierung brachte freilich nicht nur Schwierigkeiten. Bei einer Reihenuntersuchung der belgischen Sektion von „Médecins sans Frontières“ (MSF) Ende 1992 fand die Hilfsorganisation nur einen HIV- Positiven – bei einem Rückkehrer aus Malawi.

Rund 1,1 Millionen Flüchtlinge leben nach offiziellen Angaben gegenwärtig in dem mosambikanischen Nachbarland, einem der afrikanischen Staaten mit der höchsten Aids-Rate. 140.000 sind in Simbabwe und weitere 75.000 in Sambia, Tansania und Swasiland von den Vereinten Nationen erfaßt. Die Zahl der Flüchtlinge, die offiziell nicht registriert und illegal in Südafrika leben, wird auf 250.000 geschätzt. Insgesamt, so glauben Experten, dürfte etwa eine halbe Million Mosambikaner nichtregistriert und illegal in Nachbarländern leben.

Die Rückkehrer erwartet ein harter Neuanfang. Der 16jährige Bürgerkrieg forderte nicht nur fast eine Million Menschenleben. Er verursachte Schäden in Höhe von etwa 15 Milliarden Dollar. Fachleute kalkulieren, daß das Land mit dem niedrigsten Pro-Kopf- Einkommen der Welt (weniger als 80 US-Dollar im Jahr) 25 Jahre brauchen wird, um nur das Wirtschaftsniveau von 1980 wieder zu erreichen.

Das konnte 290.000 Flüchtlinge nicht abschrecken. Sie warteten nicht auf den offiziellen Startschuß für die Rückkehr. Sie packten seit der Friedensvereinbarung im Oktober 1992 die Sachen und machten sich auf den Weg in die Heimat. Getreu einem Motto, das auch der Mitarbeiter einer nichtstaatlichen Hilfsorganisation in Maputo formuliert: „Hoffentlich kümmern sich die Flüchtlinge nicht um die UN-Flüchtlingskommission.“

Die Sorge vor bürokratischer Umständlichkeit und hohen Reibungsverlusten scheinen sich zu bestätigen. Seit dem 16. Juni wurden erst 200 Flüchtlinge aus Simbabwe zurückgebracht – als Test. Alleine 223.000 US-Dollar kostet laut den Vereinten Nationen die Eröffnung eines neuen Büros. 323.000 US-Dollar soll die Anlegung kleiner Notvorräte mit Nahrungsmitteln kosten, mit über zwei Millionen Dollar wird die Überwachung von Nahrungsmittelverteilung bei der Repatriierung zu Buche schlagen. 203 Millionen US- Dollar wird laut David Lambo, dem UNHCR-Leiter für das südliche Afrika, die Rückführung über die nächsten drei Jahre kosten – wenn alles glatt läuft.

Das hängt im wesentlichen davon ab, ob der Frieden in Mosambik hält. Bisher scheint die Entwicklung alle Befürchtungen zu bestätigen: Für Oktober 1993 geplante Wahlen wurden auf Ende 1994 verschoben. Renamo boykottiert seit Monaten Sitzungen der Friedenskommission und hält mehrere Parlamentsabgeordnete als Geiseln. Die 49 Gebiete, in denen die Truppen beider Seiten zusammengezogen werden sollen, stehen immer noch nicht fest. Die Vertriebenen am Rande von Vilankulo machen sich denn auch nur mit großer Vorsicht daran, ihre früheren Äcker zu bearbeiten. Willi Germund