Neue Putschgerüchte in Kabul

■ Was will General Dostam in Afghanistans Hauptstadt?

Neu-Delhi/Peshawar (dpa) – Usbeken-General Rashid Dostam, der starke Mann aus Afghanistans Norden, kam gerade rechtzeitig. Am Samstag landete er mit fünf requirierten Maschinen der afghanischen Luftwaffe und großem Gefolge auf dem Flughafen der Hauptstadt Kabul. Die Zeit reichte noch für ein Gespräch mit Staatschef Burhanuddin Rabbani, bevor dieser zum Treffen der islamischen Organisation für Wirtschafts-Zusammenarbeit nach Ankara abreiste. Rabbanis Abreise und die fast gleichzeitige Ankunft Dostums haben Spekulationen über einen Putsch neue Nahrung gegeben.

Im komplizierten Gefüge innerafghanischer Allianzen hat es während der vergangenen Wochen neue Verwerfungen gegeben. Ahmed Schah Masud, der der tadschikischen Minderheit angehörende bisherige Verteidigungsminister, war vor gut einem Monat endgültig zurückgetreten, um einem von Vertretern der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit dominierten Kabinett Platz zu machen. Masud beugte sich dem Druck seines Erzfeindes und Paschtunen Gulbuddin Hekmatjar, der nominell nun als neuer Ministerpräsident fungiert. Doch bis jetzt hat dieser seinen Amtssitz in Kabul noch nicht gesehen. Er sitzt fest in Charasiyab, 20 Kilometer südlich von Kabul. Noch immer kontrolliert Masud fast ganz Kabul, obwohl er seine schweren Waffen unter dem Druck Rabbanis in sein 100 Kilometer nördlich Kabuls gelegenes Hauptquartier Jabal-us-Saradsch abtransportieren mußte. Angeblich trifft Massud massive Vorbereitungen für einen neuen Angriff auf Hekmatjars Stellungen im Osten und Süden Kabuls.

Stimmt die Spekulation, dann kam Dostam, um während der Kriegsvorbereitungen Masuds und der Abwesenheit Rabbanis das Eindringen Hekmatjars in die Stadt zu verhindern. Mit seinen verbliebenen Truppen sollte er demnach Massud und Rabbani den Rücken freihalten. Auch Masuds „Schura-i-Nasar“ beherrscht nicht ganz Kabul. Im Westen der Stadt sorgen Schiitenmilizen für Unruhe, in wechselnden Waffenbrüderschaften mit kleineren Mudschaheddin-Gruppen, die wiederum entweder Hekmatjar oder Massud bekämpfen. Dostum, der vor Monaten schon in seine „Hauptstadt“ Mazar-i-Sharif zurückgekehrt war, wurde seither oft als der Mann benannt, der den gordischen Knoten des mörderischen Kleinkriegs irgendwann zerschlagen werde.

Es ist in Kabul ein offenes Geheimnis, daß Dostum noch immer beste Beziehungen zu den im April 1992 abgesetzten Linkskräften der ehemals kommunistischen Vaterlandspartei von Präsident Mohammed Nadschibullah unterhält. In diesen Kreisen befindet sich noch immer der administrative und politische Sachverstand, der nötig wäre, um das kriegszerstörte Land wieder aufzubauen. Nur: Einladen wird diesen Sachverstand keine der zerstrittenen, meist strenggläubigen islamischen Mudschaheddingruppen. Heinz-Rudolf Othmerding