Kommissar Unfall ermittelt

■ BKA: Grams durch eigene Waffe getötet – aber von wem? Unfall-Hypothese löst Mordtheorie ab / Widersprüche bleiben

Wiesbaden (taz) – Wolfgang Grams ist am 27. Juni in Bad Kleinen durch seine eigene Waffe zu Tode gekommen. Dies jedenfalls ist das Ergebnis auch eines zweiten kriminaltechnischen Gutachtens, das gestern mittag im Bundeskriminalamt in Wiesbaden vorgestellt wurde. BKA-Chef Zachert war dazu extra aus der Kur herbeigeeilt. Das Rechtsinstitut Münster kommt, ebenso wie die Rechtsmedizin der Universität Lübeck, zu dem Ergebnis, daß Grams durch einen „absoluten Nahschuß“ starb. Das Stampfmarkenprofil an seiner rechten Schläfe weise mit keiner der Polizeiwaffen Übereinstimmungen auf, wohl aber mit der Pistole von Wolfgang Grams.

Zachert stellte, in Anlehnung an die Selbstmordthese vergangener Tage, in den Raum, daß Grams sich auch versehentlich selbst erschossen haben könne. Möglicherweise sei er „getaumelt“, als er auf die Bahngleise fiel. Dabei könne sich bei einer „scharf geladenen“ Waffe mit „ganz leichtem“ Druckpunkt durchaus noch ein Schuß gelöst haben. Er sei aber „vorsichtig mit Spekulationen“: „Das kann sich auch noch ganz anders darstellen.“ Insgesamt habe Grams elf Schüsse um sich gefeuert.

Die Schmauchspuren an Grams' Kopf konnte Zachert bei dem von ihm angenommen Tathergang allerdings ebensowenig erklären wie die Tatsache, daß der getötete Polizeibeamte außer dem tödlichen Brustschuß auch eine Schußverletzung an der Körperrückseite erlitt. Ebensowenig wußte er vorerst eine Antwort darauf, wie der Beamte, der nach früheren Angaben noch auf der Bahnsteigtreppe von oben tödlich getroffen wurde, dann noch auf den Bahnsteig gelangte.

Laut Aussagen von beteiligten Beamten habe einer von ihnen die Pistole, die Grams auf die Gleise fallen gelassen habe, auf den Bahnsteig gelegt. Niemand habe mit einer Waffe auf ihm gekniet, sondern nur zwei Männer „in Sicherheitsanschlag“ über ihm gestanden. Grams sei zu diesem Zeitpunkt schon „reglos“ dagelegen. Auch habe nach der allgemeinen Schießerei keiner der Zeugen mehr einen Einzelschuß gehört – was die Aussage des unabhängigen Gutachters Grünig bestätigte, der noch vom inzwischen zurückgetretenen Innenminister Seiters eingesetzt worden war.

Zachert räumte ein, es seien bei der Koordination der Informationen von zwei Staatsanwaltschaften, vier Behörden und sieben Gutachterstellen Fehler gemacht worden: „Sie haben sicher einen ganz erheblichen Informationsbedarf.“ Manche der „bis jetzt veröffentlichten Inhalte“ seien leider „so abstrakt gehalten worden, daß sie sich der Inhaltlosigkeit näherten“.

Energisch widersprach er dem Gerücht, in Bad Kleinen sei „ein dritter Mann entkommen“, verbat sich dazu aber weitere Fragen. Daß der Polizist von einem Querschläger getroffen worden sei, schloß er aus. Sicher sei allerdings, daß der Beamte seine Waffe noch gar nicht gezogen hatte, als er getroffen wurde.

Insgesamt sei der „Erfolgsgrund“ der Fahndung nach „ganz gefährlichen Terroristen“ durch die zwei Toten beträchtlich geschmälert. Das Ergebnis sei „entsetzlich“. „Insofern kann man nicht von einem Erfolg sprechen.“

Die Schweriner Staatsanwaltschaft hat neun Tage nach der Schießerei auf dem Kleinstadtbahnhof gestern erstmals Beamte der GSG 9 vernommen. Fragen zum Schußwechsel soll per Amtshilfe nun auch die Abteilung Technik des wissenschaftlichen Dienstes der Züricher Stadtpolizei klären. Heide Platen

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