Kondom in eustachischer Röhre

■ Der „Jim Rose Circus“ gastierte im Hamburger Mojo-Club und sorgte mit Fakirnummern und Piercing-Acts für die Neu-Belebung der totgesagten Kleinkunst  Von Greta Eck

Die Orgel quietscht. Der grelle Lichtspot ruht auf dem großen Glatzkopf, der breitbeinig auf der Bühne steht. Die Orgel dräut. Der junge Haarlose trägt ein normales schwarzes T-Shirt und eine normale schwarze Jeans. Die Orgel quengelt dramatisch. Der Mann, der „Matt The Tube Crowley“ genannt wird, zieht ein schwarzes Kondom aus der Hosentasche, führt es in sein linkes Nasenloch ein und saugt es hoch. Der Präser verschwindet recht schnell. „The Tube“ (die Röhre) lächelt verbindlich. Jetzt orgelt die Orgel über alle Maßen: Er öffnet seinen Mund und läßt das feuchte Gummitütchen über seine Zunge nach draußen rutschen. Großer Applaus. Die Orgel ist still.

Diese Sondertat der eustachischen Röhre - so heißt die Verbindung zwischen Nase und Rachenraum - ist nur eine von vielen Attraktionen, die der „Jim Rose Circus“ zu bieten hat. Gestern und vorgestern gastierte die amerikanische Variete-Gruppe im Hamburger Mojo-Club und zeigte zweitklassige Nummern aus dem Bereich der Körperbeherrschung: Gesichter in Glasscherben gedrückt, nackte Füße auf den Schneiden von Schwertern, Nadeln durch die Wangen. Nichts Neues eigentlich. Doch der „Jim Rose Circus“ bietet einen anderen Unterton und einen anderen Hintergrund als die meisten Varietes. Ein Blick ins Publikum, auf die augenzwinkernd feilgebotenen Körperkunststücke und den knopfäugigen Zirkus-Chef selbst zeigen das.

Jim Rose ist ein agiles Männchen mit dem Charme eines Schiffschaukelbremsers. Er schreitet die kleine Bühne stets hektisch ab, seine Arme fuchteln wild in der Luft herum; um seine nächste Attraktion anzukündigen, erstarrt er in den klischeehaften Posen eines Rockstars. Seine Ansagen quellen über vor sprachlichen Klischees, oft gefüllt mit einem skandierten „bii-juuh-tii-full“. Manchmal karikiert er die Rolle eines Zirkus-Direktors so sehr, daß er selbst lachen muß: Dann steht ein dünner Mann in den Dreißigern auf der Bühne, der ein längst totgesagtes Genre wieder aufleben lassen will, indem er junges, kritisches Underground-Publikum als Zielgruppe anvisiert.

Der „Jim Rose Circus“ brilliert nicht mit tatsächlichen Attraktionen. „Mister Lifto“ hebt zwar zwei Bügeleisen an einem Ring hoch, der in der Eichel seines Penis sitzt. Doch eigentlich sieht dieser „Freak“, wie Rose seine Schützlinge gerne nennt, eher aus wie der nette Tuntenschwule von nebenan, der halt Piercings liebt und nun an seine Ringe alles ranhängen kann, was die Haut so hält. Auch „The Enigma“, das grimassierende Monster, ist in Wirklichkeit ein netter junger Mann mit Ganzkörper-Tätowierung, der die menschlichste und liebenswürdigste Tat des Abends vollbringt: Weil das Mädchen aus dem Publikum sich so sehr ekelt, als sie ihm die Insekten mit ihrer Hand in seinen Mund legen soll, setzt „The Enigma“ die Krabbeltiere kurz entschlossen auf den Pulloverärmel des Mädchens und frißt sie von dort weg.

Rose's Karriere als Kettensprenger und Rasierklingen-Esser begann im legendären Seattler „Crocodile Cafe“, wo sich einstmals die Rockbands Nirvana und Mudhoney trafen. Dort wurde vor zwei Jahren die Idee der modernen „Freak-Show“ geboren: Gespiegelt durch die medienverwöhnte und kritische Linse des jugendlichen Undergrounds werden die alten Variete- und Fakir-Nummern wieder aufgenommen, doch nun als Karikatur einer gewesenen Kunst-Form präsentiert. Deshalb müssen sie sogar zweitklassig sein. Was in der populären Musik der „trash“ ist, was in der Filmwelt von Kult-Regisseur John Waters vertreten wurde, das wird in der Kleinkunst nun der „Jim Rose Circus“ sein.

Das Hamburger Publikum - jung, trendy, gebildet - hat jedenfalls die Varietekunst wiederentdeckt. „Watch the shit“ fordert Jim Rose auf, „it's only for you!“ Dann tackert er sich mit einem Grinsen einen Zehn-Mark-Schein auf die Stirn. Und die Hammond-Orgel wummert weiter...