Das Ende der Verkehrs-Apartheid?

■ Das Fahrrad soll auf den Straßen gleichberechtigt werden / Handelskammer schimpft    Von Florian Marten

Handelskammer-Verkehrsspezi Günter Dorigoni traute gestern mittag seinen Augen und Ohren nicht: War er wirklich in Raum 201 der guten alten Baubehörde? Saß da drüben wirklich der gute alte Bausenator Eugen Wagner? Mit wachsendem Entsetzen lauschte der Wirtschaftsvertreter der Präsentation jener Fahrradoffensive, von der die taz in der Vorwoche schon exklusiv vorab berichtet hatte: Im Schulterschluß mit ADAC, Gewerkschaften, Verkehrswacht, Mieterverbänden und Fahrradclubs hat Eugen Wagner in einem neugegründeten Fahrradbeirat Planungsrichtlinien für Hamburgs Straßen erarbeiten lassen, die, sollten sie tatsächlich durch- und umgesetzt werden, eine schrittweise Revolution des Verkehrsalltags ermöglichen würden.

Fahrradstreifen auf der Straße statt schmaler Radwege auf Fußgängerkosten, Fahrrad-Vorfahrt in Wohngebieten und eine fahrradfreundliche Kreuzungsgestaltung wären dann bei jeder Baumaßnahme im Straßenraum Pflicht. Wagner kündigte gestern zusätzlich an, aus dem 450 Millionen-Mark-Etat des Tiefbaumamtes Geld umzuschichten, um die neue Linie auf ausgewählten Velorouten bereits schnell Wirklichkeit werden zu lassen. Nach taz-Informationen soll es noch im Herbst der Hochallee und bald darauf der Max-Brauer-Allee an die Autospuren gehen.

Wagner, ein reuiger Sünder: „Früher fuhr ich mit'm Auto die drei Kilometer zum Postamt. Was'n Schwachsinn! Heute nehme ich das Fahrrad.“ Wagners neue Denke: „Wir müssen im Stadtverkehr Kompromisse schließen. Dabei müssen vor allem diejenigen Kompromisse machen, die bisher bevorzugt behandelt wurden. Der Autofahrer muß Verkehrsfläche abgeben. Lassen Sie sich überraschen!“ Wenn das Papier des Fahrradbeirats, „mit dem ich mich voll identifiziere“ (Wagner), auch noch die Behördenabstimmung übersteht, würde es verbindliche Planungsgrundlage. Hauptproblem könnten die Bedenkenträger der Innenbehörde sein. Doch Wagner: „Ich hab dem Kollegen Hackmann einen netten Brief geschrieben. Ich hab keine Zweifel, daß der sich mit seiner Behörde vernünftig verhält.“

Da hielt es Handelskammer-Dorigoni nicht mehr in der Zuhörerrolle: „Ich finde das abenteuerlich, Herr Wagner. Fahrradfahrer gehören nicht auf Hauptverkehrsstraßen. Ich entdecke in Ihren Vorschlägen einen hohen Grad an Unverträglichkeit mit dem Wirtschaftsverkehr. Das geht zu weit.“ Wagner: „Es gibt ja immer noch welche, die glauben, sind sind die größten, vor allem, wenn sie hinter dem Steuer sitzen. Aber: Wir müssen den Verkehr neu organisieren. Warten Sie mal ab. Wir machen das schon richtig. Ich behaupte: Der Wirtschaftsverkehr wird nicht benachteiligt. Sie können mir doch keine wirtschaftsfeindliche Haltung nachsagen. Mir doch nicht.“

Als auch noch Gerd Richter vom ADAC Dorigoni vorhielt, „in Bremen läuft das bereits bestens“, stand die Welt so richtig auf dem Kopf: Eugen Wagner, ADAC, Grüne Radler, Allgemeiner Deutscher Fahrradclub und Gewerkschaften eine verkehrspolitische Kampffront gegen die Handelskammer.