Von wegen Integration

Behindertensportler wollen zur richtigen Olympiade nach Atlanta und haben im übrigen keine Kohle  ■ Von Ralf Köpke

Berlin (taz) – Günstiger hätte die Führungs- und Verwaltungs- Akademie des Deutschen Sportbundes (FVA) den Workshop zur Zukunft der Paralympics, der Behinderten-Olympiade, nicht terminieren können: Wurden doch in Berlin die Europameisterschaften der behinderten und nichtbehinderten Rollstuhlbasketballer erstmals parallel ausgetragen. Auch die Pläne des Deutschen Rollstuhl- Sportverbandes, ab der nächsten Saison bei den Rollstuhlbasketballern pro Mannschaft einen nichtbehinderten Fußgänger mitspielen zu lassen, paßten in das FVA-Konzept, den Integrationsgedanken im Leistungssport zu diskutieren. Wie aktuell dieses Thema ist, unterstrich auch ein neues Positionspapier des International Paralympics Committee (IPC): Darin wird gefordert, gleich 14 (!) Behindertensport-Disziplinen in das Programm der Sommerspiele 1996 von Atlanta aufzunehmen, eine Idee zwar, die seit fünf Jahren immer wieder mal aufgekocht wird, nur waren es noch nie soviel Disziplinen.

Also, let's talk about integration: Nur, leider, gibt's nicht allzuviel Konsens. Die IPC-Führungsetage ist in diesem Punkt recht zerstritten. Insbesonders die „Big Three“ des Verbandes. Während Robert Steadward auf den Traum vieler nordamerikanischer Paralympioniken hinwies, eine „richtige“ olympische Medaille zu gewinnen, sprach Generalsekretär Andre Raes von „Illusionen“; und Vizepräsident Reiner Krippner, der an der Spitze des Deutschen Behinderten-Sportverbandes (DBS) steht – mit 230.000 Mitglieder weltweit immerhin der größte seiner Art –, lehnte alle Integrationsgedanken kategorisch ab: „Das bringt uns kein Stück weiter.“ Besser sei es, die Paralympics zu stärken – gerade nach dem Zuschauererfolg im vergangenen Jahr. In Barcelona verfolgten 1,5 Millionen Zuschauer die Wettkämpfe in den Stadien.

Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, daß IOC-Fürst Samaranch die uneinigen Behindertensportler nicht ernst nimmt. Die Einbeziehung von 14 Disziplinen, d.h. etwa 800 Sportler, ins olympische Programm ist ein Ding der Unmöglichkeit – das ist auch einigen IPC- Herren durchaus bewußt. Andre Raes: „Wir müssen ohnehin aufpassen, daß wir nicht in den Ruf geraten, zu gierig zu sein.“ Im ersten Entwurf der Wunschliste war gerade einmal von vier Disziplinen die Rede, die das IPC gerne im Olympia-Programm 1996 sehe.

Ohnehin scheint die Basis im Behindertensport ganz andere Sorgen zu haben, als Visionen dieser Art nachzuhängen. So fehlen etwa 2,5 Millionen Mark. Ohne diese Summe könnten die Weltmeisterschaften der behinderten Leichtathleten in Berlin nicht organisiert werden. Nun ist geplant, daß die Bundeswehr den Transport der Athleten übernehmen soll – das spart einige hunderttausend Mark. „Wenn das geschehen sollte“, weiß Weit- und Hochspringer Gunther Belitz, eines der Aushängeschilder im DBS, „boykottiere ich die WM.“ Militär und Behindertensport – „das paßt überhaupt nicht zusammen“. Vielleicht kommt Schützenhilfe von der IPC- Führungsriege. Derzeit sind die Funktionäre unterwegs auf einer „Inspektions-Tournee“ durch die möglichen Austragungsorte für die Paralympics im Jahr 2000. Rausgeschmissenes Geld: Denn eine Empfehlung, so eine verbandsinterne Absprache, wird das IPC nicht aussprechen. Und ob Samaranch beim Milliarden-Deal mit den olympischen Ringen Wünsche der kleinen Schwester IPC berücksichtigt? – auch diese Vision gehört wohl eher nach Wolkenkuckucksheim.