Assad-Gegner nach 23 Jahren frei

■ Syrien: Haftentlassung prominenter politischer Gefangener

Paris (taz) – Letzte Woche wurden nach Angaben des Pariser „Komitees zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten und Menschenrechte in Syrien“ fünf der prominentesten und am längsten einsitzenden politischen Häftlinge Syriens freigelassen. Sie gehörten zu dem radikalen Jedid- Flügel der regierenden syrischen Baath-Partei. 1966 putschte sich die Gruppierung um Salah Jedid an die Macht, 1970 wurde sie in einem unblutigen Staatsstreich vom damaligen Verteidigungsminister und heutigen Staatschef Hafis el- Assad abgesetzt. Seither saßen diese und andere Jedid-Anhänger ohne Gerichtsverfahren in dem berüchtigten Damaszener Mezze- Gefängnis.

Vor ihrer Verhaftung hatten sie hohe Ämter bekleidet: Marwan Habbasch war Industrieminister, Muhammad Said Taleb Landwirtschaftsminister, Haditha Murada war Kommandant der Volksmilizen, Abdel Hamid Miqdad gehörte der früheren Baath-Führung an, und Kamal Hussein war syrischer Botschafter in Paris. Vor einigen Monaten waren bereits einige nichtsyrische Mitglieder der Baath-Führung um Jedid freigekommen, außerdem der frühere Staatschef Nur Ed-Din Atasi, der kurz darauf im Pariser Exil starb.

Der Putsch der Gruppe um Salah Jedid, der als stellvertretender Generalsekretär der Partei stets im Hintergrund blieb, richtete sich 1966 gegen die damalige Baath- Führung um das Parteigründungsmitglied Michel Aflaq. In Abgrenzung von der etablierten, ihrer Meinung nach „kleinbürgerlich- rechten“ Parteiführung wollten Jedids Anhänger, zumeist junge Offiziere und Intellektuelle, ein radikales, sozialistisches Regime in Syrien errichten. Sie „säuberten“ den Staatsapparat von Aflaq-Baathisten und den Anhängern des früheren ägyptischen Staatspräsidenten Abd el-Nasser, der damals die Symbolfigur der arabischen Einheit war. Auch sogenannte „Reaktionäre“ und „Feudalisten“ wurden aus dem Staatsdienst entfernt. Die als „revolutionäre Saubermänner“ geltenden Parteirebellen reduzierten ihre eigenen Ministergehälter und ersetzten die Mercedes-Staatslimousinen durch VW- Käfer. Doch begannen sie auch eine Bodenreform und realisierten bedeutende Infrastruktur- und Industrialisierungsprojekte. Damals wurde mit sowjetischer Hilfe der Euphrat-Staudamm gebaut.

Die Differenzen zwischen Jedid und seinem damaligen Verteidigungsminister Assad begannen 1967, nach der Niederlage Syriens im Sechstagekrieg. Assad warf Jedid vor, Israel durch den Aufruf zum Guerillakrieg zur Befreiung Palästinas den Vorwand zum Angriff gegeben zu haben. Nach seiner Machtübernahme leitete Assad eine begrenzte innenpolitische Öffnung vor allem gegenüber Nasseristen und Kommunisten ein. Soweit Jedids Anhänger damals nicht auf Botschafterposten ins Ausland abgeschoben wurden, wanderten sie ins Mezze-Gefängnis, wo nach Angaben von arabischen Menschenrechtsorganisationen weitherhin zwischen acht und zwölf von ihnen einsitzen. Darunter ist auch der inzwischen 67jährige Salah Jedid. Er soll die Übernahme eines Botschafterpostens kategorisch abgelehnt und Assad mit den Worten gedroht haben: „Wenn ich je wieder an die Macht komme, wirst du so lange durch die Straßen geschleift werden, bis du tot bist.“

Ob die jetzigen Haftentlassungen ein Anzeichen dafür sind, daß auch Jedid demnächst freikommt, ist fraglich. Noch immer besitzt er großen Einfluß in der Baath-Partei. Bis heute erzählt man sich von seiner kleinen, karg möblierten Wohnung und wie er damals mit seinem alten VW-Käfer ohne Leibwächter durch Damaskus fuhr. Vor allem für die Baath-Jugend, die von Korruption und Mißwirtschaft im Staatsapparat frustriert ist, verkörpert er wie kaum ein anderer die alten Partei-Ideale: Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit. Nach Informationen seiner Anhänger soll Jedid inzwischen mehrfach die Freilassung angeboten worden sein – falls er schriftlich erklärt, sich von aller Politik fernzuhalten. Er hat angeblich jedesmal abgelehnt. Laila Burhani