Clinton: „Change, Change, Change“

■ Japan ist selbstbewußt geworden, der Weltwirtschaftsgipfel ist bloße Routine

Tokio (taz) – Steil fällt die Böschung vom Tokioter Luxushotel New Otani herab zu den Sportplätzen der alten Sophia-Universität inmitten Tokios. Oben, in den Hotelsuiten, studierten gestern Minister und Diplomaten der sieben reichsten Industrieländer die Wachstumsprobleme der Weltwirtschaft. Unten, auf dem grünen Rasen, spielt die japanische Studentenjugend Fußball. „Heute ist ein großer Tag“, ruft ihr flinker Mittelstürmer, Gen Yamasaki. Doch den Weltwirtschaftsgipfel, der nur wenige Dutzend Meter weiter unter Leitung des japanischen Premierministers zusammentritt, hat der 22jährige Studenten-Kicker dabei nicht im Sinn. Stattdessen denkt Gen Yamasaki an Fußball, obwohl er Managementlehre studiert. Der Kraushaarige will wissen, wer noch am gleichen Abend den ersten Meistertitel der neuen japanischen Fußballprofi-Liga gewinnt. Darüber streitet halb Japan. „Ich kenne Pierre Littbarski und Frank Ordenewitz“, bekennt sich Gen zu den deutschen Fußballprofis, die heute schon in Japan spielen. „Aber den Namen des deutschen Bundeskanzlers habe ich vergessen.“

Drinnen, im besagten Hotel und dem Tokioter Akasaka Palast, setzen die Staats- und Regierungschefs ernste Minen auf. Trostlos wie die Weltwirtschaftslage inszenierten die Japaner den Empfang: im strömenden Tokioter Regen verzichteten die Gastgeber ganz auf Nationalhymne und militärisches Salut. Statt dessen beginnen die Gespräche der Sieben unmittelbar beim Trauerthema Arbeitslosigkeit. „Wir sind besorgt über das unzureichende Wachstum und die unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen in unseren Volkswirtschaften“, sollen nun die einleitenden Worte zur wirtschaftlichen Abschlußerklärung des Gipfels lauten. Offenbar erkennen endlich auch die Regierungschefs, daß ihnen die frohen Botschaften über den Wirtschaftsaufschwung niemand mehr abnimmt. Am allerwenigsten die Japaner.

„Es gibt von diesem Gipfel nichts Gutes zu berichten“, kommentiert Provinzreporter Kazuya Itoh, der für eine Zeitung aus Sapporo das G-7-Treffen beobachtet. Ihn entsetzt vor allem die Entscheidungsunfähigkeit der eigenen Regierung. „Unsere Ministerien streiten nur noch untereinander, und der Premierminister regiert nicht mehr“, erinnert Itoh an das erfolgreiche parlamentarische Mißtrauensvotum gegen Premier Miyazawa vor drei Wochen. Dann schlägt er seine Zeitung aus Sapporo auf, in der die G-7-Geschichte zwar die Titelseite schmückt, im übrigen aber nur noch von den bevorstehenden japanischen Wahlen die Rede ist. Der Provinzreporter zuckt die Schultern: „Alles Routine.“ Vielleicht liegt darin die Sensation von Tokio. Zum ersten Mal empfängt das einzige asiatische Mitglied im Kreis der G 7 die westlichen Regierungschefs — und in Japan guckt keiner hin. Genauso wie die Deutschen in einer vergleichbaren Situation reagieren würden, sind den Japanern Wahlkampf und Fußballmeisterschaft wichtiger. Nur bedeutet das in Japan ungleich mehr: Hat die wirtschaftliche Supermacht ihre politischen Minderwertigkeitskomplexe endlich abgelegt? Ihr am Dienstag verkündeter Anspruch auf einen ständigen Platz im Weltsicherheitsrat könnte das vermuten lassen. Und haben die Japaner nicht sogar ihren Respekt vor dem amerikanischen Präsidenten verloren?

Hillary führen die Gastgeber am Mittwoch zu einer vielgerühmten Müllverbrennungsanlage — nicht gerade eine ehrenvolle Geste. Bill enttäuscht derweil die Studenten der Waseda-Universität, denen er eine politische Grundsatzrede hielt, statt ihnen die angekündigte Debatte zu gestatten. „Dem Mann fehlt der Humor“, mault anschließend ein Student. „Clinton wollte uns nur Eindruck machen.“ Hat er die Rede des Präsidenten nicht verstanden?

„Vielleicht wird eines Tages ein amerikanischer Präsident hierherkommen und euch eine Rede in eurer Sprache halten“, wirft Clinton den Studenten entgegen. Schon nach diesem Satz hätte das Auditorium auf den Bänken stehen können. Welcher Präsident vor Clinton hätte wohl je überlegt, die japanische Sprache samt Zeichenschrift zu erlernen? Später erkennt Japans führende Tageszeitung Asahi Shinbun' wohlwollend: „Es gab bisher keinen amerikanischen Präsidenten, der auch im Detail so großes Interesse an Japan gezeigt hat.“ So verschiebt sich hinter dem Dickicht der diplomatischen G-7-Gespräche das Weltbild der Gipfelprotagonisten. Die Japaner verbeugen sich nicht mehr vor dem Westen. Der Westem aber sucht Anschluß an das neue Japan. Clinton geht am Mittwoch auf diesem Weg weiter als alle vor ihm: „Für Amerika ist die Zeit gekommen, gemeinsam mit Japan eine neue pazifische Gemeinschaft zu schaffen. Das bedeutet für unsere beiden Nationen Veränderung.“ Als sei für ihn der Gipfel mit den Europäern schon gelaufen, schlägt der US-Präsident die Zusammenkunft aller ostasiatischen Staats- und Regierungschefs beim diesjährigen Treffen des pazifischen Wirtschaftsrats (APEC) in Seattle vor. Australiens Premier Keaton nimmt noch am Mittwoch die Einladung an.

Wie in einer seiner Wahlkampfreden verwendet Clinton immer wieder das Wort Veränderung. Noch im Januar 1992 war Vorgänger George Bush unter dem Slogan „Jobs, jobs, jobs“ in Japan angetreten. Die wirtschaftlichen Forderungen der USA sind die gleichen geblieben. Doch sein Motto lautet: „Change, change, change.“

PS: Erster japanischer Meister wurden die Kashima Antlers mit einem 2:0 über die Urawa Red Diamonds. Georg Blume