Paragraph 218 in rechtlicher Unsicherheit

■ Das neue Abtreibungsrecht ist eine Auslegungssache

Berlin (taz) – Umfassende rechtliche Verunsicherungen sind das bisherige Ergebnis des vom Bundesverfassungsgericht erlassenen §-218-Urteil. Vor allem die Frage, ob die soziale Indikation nach Inkrafttreten der Karlsruher Übergangsregelung überhaupt noch existiert, stiftet Verwirrung. Bis zur endgültigen Regelung des Abtreibungsrechts durch den Gesetzgeber scheint klar: Frauen können in den ersten drei Monaten nach Beratung straffrei abtreiben, bezahlen müssen sie jedoch selbst – es sei denn, eine medizinische, eugenische oder kriminologische Indikation liegt vor.

Die Einhelligkeit, mit der Ärzteschaft und Versicherungsträger das §-218-Urteil so interpretieren, stößt bei der saarländischen Ministerin für Frauen und Gesundheit, Christiane Krajewski, allerdings auf vehemente Kritik: „Verschwiegen wird, daß beim Vorliegen einer allgemeinen Notlagenindikation nach wie vor Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassen finanziert werden können.“

Existiert die allgemeine Notlagenindikation also doch noch? Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung sind sich da nicht so sicher. Beim Bundesverband der AOK lautet die Auskunft auf eine entsprechende Anfrage „nein“, also keine Finanzierung. Liest man das Urteil jedoch genauer, so heißt es wortwörtlich: „Nicht-rechtswidrig ist auch ein Schwangerschaftsabbruch bei – festgestelltem – Vorliegen der allgemeinen Notlagenindikation.“ Und nicht-rechtswidrige Abtreibungen müssen nach wie vor – laut § 24 Sozialgesetzbuch V – von den Krankenkassen finanziert werden. Wie festgestellt werden kann, ob tatsächlich eine soziale Notlage vorliegt, ist ebenfalls implizit im Karlsruher Urteil enthalten. Die Verfassungsrichter stellen den Krankenkassen anheim, „sich zu vergewissern“, daß die ärztlich bescheinigte soziale Notlage „nicht unvertretbar war“. Will die Krankenkasse nicht zahlen, so bliebe zu guter Letzt noch der Weg vor ein Sozialgericht.

Daß Sozialgerichte in entsprechenden Verfahren zugunsten der Krankenkassenfinanzierung bei einer Notlage entscheiden könnten, hält auch das Haus von Bundesfrauenministerin Merkel nicht für ausgeschlossen. Auch nach Auffassung der FDP-Abgeordneten Uta Würfel können schon innerhalb des Übergangsrechts soziale Notlagen von einem Arzt bestätigt und mit den Kassen abgerechnet werden. Sie geht davon aus, daß alle Ärzte, „die in der Lage sind, eine psycho-personale Notlage festzustellen“, dies tun könnten. Natürlich wird dabei die „psycho-personale“ Notlage enger gefaßt, als die bisherige soziale Notlage. Diesen Spielraum sieht auch Bundesverfasssungsrichter Berthold Sommer. Allerdings verweist er auf mögliche Konflikte hinsichtlich der offenen Beratungssituation, die das Karlsruher Urteil festschreibt.

Juristisch umstritten bleibt die soziale Notlagenindikation weiterhin. Nicht zuletzt deshalb, weil Teile der Union gar nicht abgeneigt wären, sie im neu zu schaffenden Abtreibungsrecht wieder zu installieren. Dann jedoch in solch engem Rahmen, daß Beratung und Indikation nicht mehr im Sinne der Frauen wären. Karin Flothmann