Amnesty kritisiert deutsche Asylpolitik

Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ verwerflich / Europaweite Mindeststandards verlangt / Hungerstreik von Flüchtlingen auf dem Frankfurter Flughafen geht weiter  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Bonn/Frankfurt (taz) – Der Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international (ai), Volkmar Deile, hat das seit dem Inkrafttreten der neuen Asylgesetzgebung geltende Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ scharf kritisiert. Bei der Vorstellung des ai-Jahresberichts in Bonn sagte Deile, daß dieses Konzept dazu führe, daß bei Flüchtlingen aus den angeblich sicheren Herkunftsländern eine faire Einzelfallprüfung von vornherein erschwert und ein Asylantrag im Regelfall von den „Entscheidern“ vorschnell als ungerechtfertigt zurückgewiesen werde. Dabei seien derzeit alle von der Bundesrepublik als „sichere Herkunftsstaaten“ deklarierten Länder im Jahresbericht von ai für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht worden.

Deile forderte europaweit Mindeststandards für faire Asylverfahren: Anhörung bei einer fachkompetenten Stelle, Recht auf Widerspruch vor einer unabhängigen Instanz und – im Gegensatz zur deutschen Rechtslage – ein Aufenthaltsrecht für die Dauer des gesamten Verfahrens.

Der Hungerstreik von mehr als dreißig AsylbewerberInnen im Transitbereich des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens dauerte unterdessen auch gestern an. Die Männer, Frauen und Kinder aus Sri Lanka, Pakistan, Liberia, Togo, Zaire, Indien und dem Libanon verweigern die Nahrungsaufnahme, weil ihre Asylanträge nach den Bestimmungen des neuen Asylgesetzes im Schnellverfahren von „Entscheidern“ des Zirndorfer Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt wurden.

Allen Hungerstreikenden und etwa zwanzig weiteren Flüchtlingen, die sich zwangsweise in dem zum exterritorialen Gelände erklärten Gebäudeteil C 183 des Flughafens befinden, droht die umgehende Abschiebung in ihre Heimatländer. Doch dort, so die Flüchtlinge in einer ersten „Erklärung an die deutsche Öffentlichkeit“, sei ihr Leben in höchster Gefahr.

Wie der Frankfurter Rechtsanwalt Roman Fränklin im Gespräch mit der taz erklärte, liege die Entscheidung über das Schicksal der Flüchtlinge jetzt in den Händen der Verwaltungsrichter, die vom hessischen Justizministerium zur ausschließlichen Bearbeitung von Eilanträgen gegen die Ablehnungsbescheide der „Entscheider“ abgestellt wurden. Fränklin und andere Anwälte haben im Auftrag der Flüchtlinge innerhalb der vorgeschriebenen Frist von drei Tagen mehrere Eilanträge eingereicht. Doch bis heute, so Fränklin, sei kein einziger dieser Anträge entschieden worden. Nur zwei Wochen haben die Verwaltungsrichter nach den Bestimmungen des neuen Asylverfahrensgesetzes Zeit, die Eilanträge zu bescheiden. Ist diese Frist ohne Entscheidung verstrichen, dürfen die Flüchtlinge die „Quasi-Haftanstalt am Flughafen“ (Fränklin) verlassen und in die Bundesrepublik einreisen. Weisen die Verwaltungsrichter dagegen innerhalb der Frist die Eilanträge zurück, droht die sofortige Abschiebung. Ob dann eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eine Abschiebung noch verhindern kann, ist mehr als fraglich. Fränklin: „Es wird dann darauf ankommen, wie groß der Respekt der Bundesgrenzschützer vor dem Verfassungsgericht ist.“ In Anwaltskreisen wurde gestern darauf hingewiesen, daß auch die Verwaltungsrichter durchaus die Möglichkeit hätten, mit dem Hinweis auf eine noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungskonformität der neuen Asylgesetzgebung die Entscheidung über einen Eilantrag gegen einen negativen Asylbescheid zu verweigern. Fränklin: „Das kann alles noch sehr spannend werden.“

Nur drei „Entscheider“ des Zirndorfer Bundesamtes sitzen seit dem 1. Juli am Frankfurter Flughafen. Die Beamten seien „Spezialisten für drei Länder“. „Doch sie maßen sich an, über die Verhältnisse in fast allen Ländern urteilen zu können“, hieß es gestern bei den Anwälten, die Flüchtlinge am Flughafen vertreten. Daß sich die Flüchtlinge von den sogenannten Entscheidern „nicht ernst genommen fühlen“, bestätigte auch die Leiterin des kirchlichen Sozialdienstes am Flughafen, Gudrun Petasch. Deshalb, so ihre Prognose, würden sich im Verlauf der nächsten Tage wahrscheinlich weitere Flüchtlinge den Hungerstreikenden anschließen.

Gemeinsam mit den Anwälten beklagten die MitarbeiterInnen des Sozialdienstes die fehlende Infrastruktur bei der Beratung und Betreuung der Flüchtlinge. Rechtsanwalt Fränklin etwa fordert ein Beraterteam aus Juristen und Sozialarbeitern auf dem Flughafen.