Heiterer Schrecken

■ „Die herausfallenden Fälle“ nach Daniil Charms als eindringliches Kammerspiel im Monsun Theater

Mit dem Rücken in die Ecke gedrängt spricht Stephan Fischer den Streit zwischen Kuklov (“Ich bin ein Prinz“) und Bogadelnev (“Du denkst wohl, weil du ein Prinz bist, kann man dich nicht mit Suppe vollspritzen?“). Die dramatische Skizze um die beiden Streithähne ist ein Endlosdialog, beschleunigt in der dreimaligen Wiederholung.

Der musizierende Kunsterzieher und Schauspieler Fischer zeigt im Monsun einen Abend mit Texten des russischen Dichters, Dramatikers und Kinderbuchautors Daniil Charms. Charms, 1941 von Stalins Schergen verhaftet, starb als Unperson, als nichtexistenter Autor 1944 in einem Gefängnis während der Belagerung Leningrads durch deutsche Soldaten, oder starb er 1942 in einem GULAG-Krankenhaus ? Nicht das einzige Rästel, das Charms der Nachwelt aufgab.

Die drastische Komik absurder Alltäglichkeiten, die geradezu lustige Brutalität, Herzlichkeit, Beschränktheit und Weisheit des Charmsch'schen Personals setzt der Krauskopf Fischer mit verschrobener Spitzbübigkeit und mit Hingabe an die sonderbar-bekannten Figuren in Szene. Regie führte der aus Moskau stammende und seit zwei Jahren in Hamburg lebende Schauspieler und Regisseur Jewgenij Mestetschkin. Beide lernten sich erst kürzlich bei ihrer Arbeit am Stadttheater Lüneburg kennen und brachten die Szenefolge Die herausfallenden Fälle, zusammengesetzt aus Dramoletten, Erzählungen, Gedichten und Briefen in einem Monat auf die Bühne.

Mal spricht Fischer, in einen knappen schwarzen Anzug gezwängt, die Dialoge mit sich selbst, dann malt er sich eine schöne Dame an die Bühnenhinterwand, oder er stellt den unsichtbaren Vodka-Freund Nikolaij Ivanovic Serpuchov auf ein unsichtbares Podest — vor ihm existiert nichts, hinter ihm ist nichts und eigentlich hat es auch Nikolaij nie gegeben in der kleinen Erzählung Über Schein und Sein (Nr. 2). Fischer erfindet ihn, daß die Spirituose die Luft zu schwängern scheint, während aus dem Monsun-Cafe das gemütliche Treiben eines warmen Sommerabends Geplauder und Gläsergeklingel in den kargen Theatersaal aussendet, in dem über „das Abhandensein jeglichen Vorhandenseins“ gewitzelt wird.

Aus den Texten spricht auch Charms Verzweiflung, die ihn ins Komische trieb, und Fischer kombiniert sie einmal mit dem 1. Satz aus der Mozart-Sonate Nr. 4, bei der er sich klimpernd verheddert. Aber ist es nicht auch Aberglaube, daß irgendetwas einmal fertig werden könnte? Solche abergläubischen Dummheiten transportieren die grotesken eineinhalb Stunden im Monsun nicht. Die herausfallenden Fälle sind ein beinahe trostspendendes, kleines Kammerspiel für hoffnungslos romantische Pessimisten. jk

Monsun, heute, 11., 13.,14. 7., jeweils 20 Uhr