(K)eine Zukunft für den alten Schlachthof

■ Das Gelände an der Landsberger Allee ist zum Spekulationsobjekt geworden

Weltweit werden die alten Großmärkte und Schlachthöfe aus dem 19. Jahrhundert aus den Stadtzentren ins Umland verlegt, wo Schmutz und Gestank weniger stören, wo die Autobahn näher ist, wo in neuen Gebäuden viel billiger gearbeitet werden kann. Übrig bleiben ausgedehnte, verwaiste Areale, die jeder schön findet und niemand recht brauchen kann. Vom schon fast mythischen Chikagoer Schlachthof steht nur noch das Eingangstor, die Pariser Hallen riß man 1969 ab und ersetzte sie durch ein hektisches, unterirdisches Einkaufszentrum. In Berlin wird diese Entwicklung nun fortgesetzt.

Der alte Berliner Schlacht- und Viehhof, ein über ein Kilometer langes Areal zwischen Landsberger und Frankfurter Allee, gebaut 1878–81 und bis Ende der zwanziger Jahre immer wieder erweitert, stellte Ende 91 seinen Betrieb ein. Jetzt soll das Gelände „erschlossen“ werden. Für die meisten der Ställe, Lager und Schlachthäuser bedeutet das den Abriß.

Wie es in den Boom-Zeiten der zwanziger Jahre hier zuging, kann man in Döblins „Berlin Alexanderplatz“ nachlesen. Im Krieg wurde ein großer Teil der Gebäude zerstört, danach teils notdürftig wieder aufgebaut, teils durch schmucklose Beton- und Wellblechbauten ergänzt. Jetzt beginnt der Kapitalismus an den bröselnden Mauern zu nagen. Doch noch ist das Gelände ein Paradies für die Fans der gründerzeitlichen Industriearchitektur und einer der großen leeren Orte, mit denen in Berlin jetzt nach und nach aufgeräumt wird.

Im südlichen Teil des Geländes reihen sich lange, schlanke Klinkerhallen, die ehemaligen Ställe, aneinander, ergänzt durch die gelben Verwaltungsgebäude an der Eldenaer Straße. Rinder und Schweine warten dort schon lange nicht mehr auf den Tod: Das Gelände diente dem Ostberliner Baukombinat als Lager, jetzt residieren hier „Fliesenwelt“ und „Teppichland“. Nach und nach pinselt man die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude an, setzt Plastikfenster ein, reißt die alten Treppen heraus. Viele der teilweise nicht mehr winterfesten Hallen stehen leer und verrotten allmählich.

Anders sieht es nördlich der Thaerstraße aus, wo die früheren Schlachthäuser liegen. Von hier aus wurde Ostberlin bis in die jüngste Zeit mit Fleisch versorgt – und die umliegenden, dicht besiedelten Wohnviertel in den bekannten, süßlichen Duft gehüllt. Die Gebäude sind größtenteils gut erhalten. Eine Fleischfirma, Nachfolgerin des früheren Fleischkombinats, ist jetzt Besitzerin und benutzt die Gebäude vor allem als Lager – geschlachtet wird heute in der Beusselstraße. Längst ist die Planung in Gang gekommen: für ein ganz neues Stadtviertel, mit dessen Hilfe die stark im Schatten der Hauptstadtplanung stehende Umgebung belebt werden soll. Geplant ist hier auch das „Mediendorf“ für die Olympia-Journalisten, das anschließend als Wohnraum genutzt werden soll.

Die „Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße“ (SES), die im Auftrag des Senats den städtebaulichen Wettbewerb vorbereitet hat, plant nun eine Mischnutzung: In der nordwestlichen Hälfte werden vor allem Bürogebäude angesiedelt (im neuen Flächennutzungsplan ist dieses Gelände bereits als „Kerngebiet“ ausgewiesen), während im Südteil 2.500 Wohnungen entstehen sollen, ergänzt durch Schulen, Kitas, Sportanlagen und einen Park. Die Thaerstraße soll bis zur Landsberger Allee verlängert werden und so das Gelände durchschneiden. Nur einige wenige der jetzt rund 50 Gebäude werden stehenbleiben, eine „Idee des früheren Schlachthofs“ soll „erlebbar“ bleiben, wie es Dr. Klaus von der SES formuliert. Insgesamt sind Investitionen von mehr als drei Milliarden Mark geplant. Bis November werden die Ergebnisse des Gutachterverfahrens erwartet. Der Baubeginn soll 1996 sein, 1999 sollen die ersten Wohnungen bezugsfertig sein.

Eher Alibicharakter scheint das geplante „Kulturforum“ zu haben. Schon der einfallslose Name für diesen Teil des neuen Stadtviertels, für den konkrete Ideen bisher fehlen, verheißt kaum Gutes. Obwohl Lichtenberg und Friedrichshain, die beiden angrenzenden Bezirke, mit Kinos, Theatern, Galerien oder bezirklichen kulturellen Einrichtungen alles andere als verwöhnt sind, mißtraut man offenbar bei den Planern selbst der erhofften Aufwertung des Viertels, die Kulturinteressierte anziehen könnte.

Herz des „Kulturforums“ soll die ehemalige Rinderauktionshalle werden, das größte Gebäude des Viehhofs. 400 gußeiserne Säulen tragen ein flaches Holzdach, das den nicht unterteilten, 15.000 Quadratmeter großen Raum überspannt. Abreißen will man das Paradestück nicht, hinsichtlich einer möglichen Nutzung aber herrscht bei den Planern Ratlosigkeit. Jörg Häntzschel