"Die Leute trinken ihr Bier zu Hause"

■ Sinkende Umsätze, steigende Gewerbemieten und die Durchsetzung der 22-Uhr-Grenze machenBerliner Kneipiers das Leben schwer / Restaurantketten und Erlebnisgastronomie sind auf dem Vormarsch

Seit die Schönhauser Allee eine Baustelle ist, und das ist sie schon seit drei Jahren, haben die Wirte der etwa 25 Gaststätten dort nichts mehr zu lachen. Während kaum noch ein Passant Lust hat, es sich neben Baulärm und -staub gemütlich zu machen, steigen die Gewerbemieten sprunghaft.

Dem Keglerheim in der Lychener Straße wurde die Miete seit dem Mauerfall von 360 auf 4.000 Mark erhöht. Dank der Stammgäste und der Kegelclubs hat es sich bislang über Wasser halten können. „Uns bleibt doch nichts anderes übrig, in unserem Alter“, sagt Geschäftsführer Gerd Rühmkorb. Die Inhaberin, seine Frau, wurde vom Finanzamt schon gefragt, wovon sie eigentlich lebe. „Alles fließt in das Restaurant“, sagt Rühmkorb. Das Gaststättengewerbe sei nicht nur kosten-, weil personalintensiv. Im Osten müßten sie obendrein verstärkt investieren, um sich westlichen Standards anzupassen.

Dem Restaurant Wernersee in Mahlsdorf wurde die Miete zwar „nur“ von 400 auf 2.500 Mark erhöht, „aber wenn das Geld nicht reinkommt, müssen wir im Oktober dichtmachen“, sagt Hans Poeschel. Seit mehr als elf Jahren betreibt die Familie bereits ihr Restaurant mit Festsaal und Schwimmbadkiosk. Doch seit das Freibad nebenan nicht mehr wie zu DDR-Zeiten mit Wasserbällen, Discos, Neptun- und Kinderfesten Menschen aus ganz Hellersdorf und Marzahn anzieht, sind die Besucherzahlen spürbar gesunken. Obendrein schließe das Bad oft schon zwei Stunden zu früh, ärgert sich Poeschel. Dazu kommt, daß die Gäste jetzt nicht mehr zehn Bier trinken wie früher, sondern eins oder zwei. „Wir haben hier eine enorme Arbeitslosigkeit, da kaufen sich viele eher einen Kasten Bier und trinken ihn zu Hause.“

In den ersten drei Monaten dieses Jahres mußten schon 733 Gaststätten aufgeben, im letzten Jahr waren es 2.879. Dem stehen allerdings auch 920 beziehungsweise 2.879 Neuanmeldungen gegenüber. „Die Fluktuation in diesem Gewerbe ist traditionell besonders hoch“, sagt Egbert Steinke, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK). Rund ein Drittel der Gaststätten wechselt im Jahr den Besitzer.

„Berlin wird nicht ausgedünnt“, meint auch Dieter Pulmann, Leiter der Abteilung Handel der IHK. Gerade im Ostteil würden im Gegensatz zum Westen Umsatzsteigerungen erzielt. Pulmann befürchtet allerdings, daß die rigidere Durchsetzung der 22-Uhr-Grenze für die Bewirtung im Freien vielen Gaststätten Umsatzeinbußen einbringen wird. „Bei allem Verständnis für das Ruhebedürfnis der Leute – wir leben nicht in der Provinz“, findet er. Zudem habe sich gezeigt, daß Lokale, die Tische und Stühle rausstellen könnten, besser abschnitten als andere.

Doch für die rund 6.800 Gaststätten in Berlin haben sich die Bedingungen seit dem Mauerfall verschärft. „Hauptproblem sind die steigenden Gewerbemieten“, sagt Sabine Kalkmann, Sprecherin der Hotel- und Gaststätteninnung. Selbst rennomierte Betriebe wie das Café Möhring und das Le Bou Bou am Ku'damm oder das Tegernseer Tönnchen mußten wegen Gewerbemieten von bis zu 45 Mark pro Quadratmeter aufgeben. Aber auch zunehmende Konkurrenz durch Systemgastronomie, also Restaurantketten, ausländische Restaurants und Kaufhausgastronomie führte für viele ins Aus. Im Ostteil haben allein in eineinhalb Jahren elf chinesische Restaurants aufgemacht.

Erfolge feiere auch die Erlebnisgastronomie, die ihren Gästen etwa ein Mahl an König Artus' Tafel verspricht, eine Maskenparty dazu organisiert oder die Gäste ihr Fleisch auf heißen Steinen selbst grillen läßt.

Auch in Kreuzberg, das für seine gute Infrastruktur bekannt bis berüchtigt ist, sind Veränderungen spürbar. Zwar geht es hier den Kneipen und Restaurants immer noch besser als etwa den Einzelhandelsgeschäften. „Aber wer hier neu aufmacht, muß schon etwas Besonderes zu bieten haben“, sagt Sabine Hoffmann, die für den Bürgerverein SO 36 eine Studie über das Ladengewerbe im Stadtteil angefertigt hat. Ihre Untersuchungen ergaben, daß in Kreuzberg der Anteil an Imbissen und preiswerten Lokalen stagniert, während sich die Restaurants mit gehobenem Standard und entsprechenden Preisen seit 1989 verdreifacht haben. Auch Szenekneipen, die weniger etabliert seien als etwa die Oranienbar oder der Elephant, seien zunehmend bemüht, sich ein edleres Ambiente zu geben.

Die Gründe für Geschäftsaufgaben sieht Hoffmann auch hier in hohen Mieten oder Grundstücksspekulationen. Das Haus beispielsweise, in dem das Kuckucksei in der Wrangelstraße das Erdgeschoß gemietet hat, wechselte seit dem Mauerfall mehrmals den Besitzer. Während es zunächst für 300.000 verkauft wurde, habe der letzte Besitzer 1,1 Millionen dafür bezahlt, berichtet Claudio aus dem betreibenden Kollektiv. „Wir wollten eigentlich immer eine Einrichtung für den Kiez sein, wo die Leute gut und billig essen können“, sagt Claudio. Selbst die Erhöhung der Bierpreise habe die Kneipe nicht an die Gäste weitergegeben. Wenn in gut drei Jahren der relativ günstige Mietvertrag ausläuft, das Haus renoviert wird und die Ladenmiete laut Ankündigung des Vermieters auf etwa 10.000 Mark steigt, ist es damit wohl vorbei. Corinna Raupach