Wohlige, süße Regression

Der Urlaubstrend zu Gesundheit und die Verjüngungskur der Kurorte. Das französische Thermalbad Vichy möchte „europäische Hauptstadt der Gesundheit“ werden.  ■ Von Edith Kresta

Aus sechs Düsen prasselt warmes Thermalwasser auf Rücken und Beine. Zu meiner Linken und Rechten schieben sich zwei Hände sanft durch Muskeln und Gewebe, von den Fußspitzen aufwärts. Mein Körper hat längst jeden Widerstand aufgegeben. Die symmetrische Massage der zwei jungen Frauen, unterstützt von dem beständigen warmen Wasserguß, stoppt das Karussell im Kopf, lullt ein. Spätestens als ich aufgefordert werde, mich zu wenden, habe ich vergessen, wo ich bin. Wohlige Entspannung, süße Regression und Mineral auf der Haut. Die Douche de Vichy hat es mir angetan. Sie ist die therapeutische Spezialität des französischen Thermalbades Vichy.

Dort, im neu errichteten Centre Les Célestins, hat man sich hehre Ziele gesteckt, nämlich „alle Elemente einer ganzheitlichen Gesundheitspflege wieder miteinander zu verbinden“. Fach- und Allgemeinmedizin, Spitzentechnologie und Thermalwasser, Umwelt und Kultur sollen sich zusammenfügen „zu einer einzigen und einzigartigen, dabei stets individuellen Therapie, die gleichermaßen auf Gesundheit und Wohlbefinden abzielt“.

Das Centre Les Célestins ist das ehrgeizigste Projekt des neu gestylten Vichy: Gesundheit, Kuranwendungen, Schönheit, Ernährung und geistige Entspannung – kurz Gesundheit und Wellness, bien- être, sollen hier in exemplarischer Weise vorexerziert werden. Auf klassizistischen Säulen, in strahlendem Weiß, ab und zu von blauen Kacheln gebrochen, steht das neu errichtete Centre pompös in bester Lage am Rande des Parc des Sources. Von dem Atrium mit der als Sonne geformten gläsernen Kuppel führt ein Durchgang zum dazugehörigen Hotel der Vier- Sterne-Kategorie. Klinisch-reines Weiß strahlt mir auch im Inneren entgegen, nur leicht gedämpft von Ockertönen und dem zarten Pastell der Kleidung des vorwiegend weiblichen Personals. Von der Sitzecke bis zu den Ohrringen der Counterfrau, auch diese dezent im Signet des Centre gehalten, ist alles bestens aufeinander abgestimmt. In dieser kühlen Eleganz des Marmors schlurfen die Kurenden mit weißen Badeschlappen und weißen Mänteln durch die Etagen von Atrium Santé, Atrium Detente, und Atrium Beauté. Dort kann man baden, relaxen, turnen, sich pflegen, beraten und verwöhnen lassen. Alles auf dem neuesten Stand von Technik und Medizin.

Vor der Kuranwendung erfolgt die ärztliche Diagnose, vor der Schönheitsbehandlung die kosmetische. Nach medizinischem Basis- Check-up wird der Kunde des Centre in die einzelnen Abteilungen überwiesen. Der gestreßte Manager weiß nun nicht nur seine akuten Kreislauf- und Leberwerte, sondern erfährt auch das wahre Alter seiner Haut, das nach karibischen Exzessen längst das biologische überschritten hat. Auch ich sollte mich fürderhin mehr um den Ist- Zustand meiner – ich befürchtete es – „reifen Haut“ bemühen, teilt mir Franoise, die Kosmetikerin, nach der Computerdiagnose mit. Franoise reicht mir prompt ein Vichy-Wasser zur aktiven Unterstützung des Feuchtigkeitsgehalts. Überall im Centre stehen die kleinen Wasserflaschen herum. Wasser – das Mittel gegen alle Arten und Formen des Abgeschlafftseins.

Wo Körper und Schönheit versorgt sind, darf das seelische Wohl nicht länger darben. Und was schädigt Immunsystem, Herz und Kreislauf am nachhaltigsten? – Streß natürlich. Deshalb muß er bekämpft werden. Eine Psychologin bietet „Biofeedback – Entspannung und Workshops für geistige und soziale Kompetenz“.

Damit das ganze Ganzheitlichkeitsprogramm nicht zum oberflächlichen Relaxen verkommt, sondern nach wie vor dem Kuranspruch genügt, betont die Directrice Danielle Neveu den Gesundheitsaspekt. Madame wirkt überzeugend: Das Centre Les Célestins präsentiert sich als solides Projekt mit dementsprechend soliden Preisen der Luxuskategorie. Doch schon fürchtet Danielle Neveu, daß die Betonung der Gesundheit dem Erholungsurlaub abträglich sein könnte. Insbesondere das kurgewöhnte, zahlungskräftige deutsche Publikum, auf das man setzt, sei eher mit Golf und Relaxen als mit der ernsten Gesundheit zu ködern. Wenn schon Vichy, dann von der angenehmsten Seite, und die ist eben nicht immer auch gesund.

Gymnastik im Whirlpool- Schwimmbad. Recken, strecken, sich beugen und drehen – die junge Sportlehrerin gibt Anweisungen auf französisch und englisch, mit Händen und Füßen. Das warme Wasser hat mich faul gemacht. Halbherzig bewege ich meine Zehenspitzen kreisförmig nach links und rechts. Ein begeisterter Mitturner animiert mich von neuem . Er streckt sich wohlig, lüpft die Beine, streckt den Leib vor und zurück und lächelt unentwegt. Ein echtes Erfolgsprodukt des Centre? Ich bin irritiert über sein permanentes Lächeln, seine Beweglichkeit, die ganz im Gegensatz zu seinem Umfang steht. Das warme Wasser, gezielte Massage und die freundliche Animation haben offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt.

An der Kräuterteebar während einer Anwendungspause kommen wir uns näher. Beim Gemüsecocktail gesteht der Ewiglächelnde, Freiberufler aus München, herbe Niederschläge. Die Ärztin habe ihm sein Idealgewicht vorgerechnet und einen Diätplan zurechtgelegt. Zwar könne er schon hier als Gast des Hotels mit der Diät beginnen, denn die Küche dort sei auf solche Fälle spezialisiert, aber das französische Essen, der Wein ... Er fühle sich unbedingt wohl hier, die freundliche Behandlung, die Perfektion, und die Directrice Madame Neveu, weiß er nun restlos begeistert, sei sogar persönliche Vertraute von Cathérine Deneuve. Ein echter Qualitätsnachweis. Mit einem kräftigen Schluck seines Karotten-Paprika-Fenchel- Cocktails, den er schmatzend auf der Zunge zergehen läßt, bekräftigt er den Willen zur Pflege seines Gesundheitskapitals. Dann huscht er zur Strahlendusche, ich zur Unterwassermassage.

Die besonders in den USA kultivierte Wellness in sogenannten Spa-Zentren setzt sich auch in Europa immer mehr durch. Hotels der gehobenen Kategorie bieten ihren Gästen neben Unterkunft auch Gesundheit, Schönheit und Fitness. Traditionelle Kurorte in Deutschland, Frankreich und Italien wollen den miefigen Kaffeekränzchen-Flair mit Segmenten der ganzheitlichen Gesundheit loswerden. Diese ist nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation: „sich körperlich, geistig und im Umgang mit anderen wohl zu fühlen“.

Die vernetzte Gesundheitskonzeption soll neuen Glanz in alte Hütten bringen. Das Vergnügen an körperlichem Wohlbefinden, am Kuren, wird im Trend der hedonistischen Selbstbesinnungswelle neu aufgemöbelt. Wellness, lautet das Geheimrezept, wenn die ersten Abnutzungserscheinungen, die ersten Fältchen drohen. Dies verspricht den Kurorten eine jüngere, zahlungskräftige Klientel. Doch Vichy hat neben dieser Verjüngungskur des Angebots größeres vor: es will „europäische Hauptstadt der Gesundheit“ werden.

Der Parc des Sources ist zur Abendzeit gut besucht. In dem alten Rundbau mit den kitschig- schönen Dosen für die „Pastilles de Vichy“, den hier hergestellten Pfefferminzbonbons, hat die Verkäuferin alle Hände voll zu tun. Zwei ältere Damen prüfen sämtliche Dosen unerbittlich auf Inhalt und Form. Kurgäste und Einheimische sitzen auf Bänken und Stühlen unter schattigen Platanen. Sie unterhalten sich, lesen Zeitung oder kuren mit dem abendlichen Gesundheitstrunk aus der Trinkhalle. Luft anhalten und runterschlucken – ich leide mit beim Trinken des schlechtriechenden Schwefelgebräus. Das Bad im Thermalwasser ziehe ich allemal der inneren Reinigung vor, zumal die Stiftung Warentest – die Bibel bewußter deutscher Verbraucher – die Wirkung heilender Wässerchen in ihrer jüngsten Ausgabe anzweifelt. Eine ältere Dame schleppt gleich eine ganze 1-Liter- Plastikflasche Chomel mit seiner vermeintlichen Wirkung auf den Verdauungstrakt aus der kuppelartigen Halle.

Die etwas angestaubten dunkelgrünen Plastikblumen über den Wasserbecken und der Rost an Türen und Gittern zeigen, daß das Kuren nicht mehr ganz en vogue ist in Vichy und anderswo. In der alten Oper, wo Richard Strauß am 4. September 1935 die Salome dirigierte, tagt heute nur die Post. Das dazugehörige Casino wartet sehnsüchtig auf den Einarmigen Banditen, der endlich die Rendite einspielen soll.

Der Lack ist ab in Vichy. Hierzulande wird der Kurort eher mit der faschistoiden Regierung des Maréchal Pétain (1940–44) in Frankreich in Verbindung gebracht als mit heilenden Wassern. Doch die Kollaborateure der Nazis sind vergessen. Postkarten und Plakate frönen in Vichy allenfalls der vorzeigewürdigen, noblen Vergangenheit: als Napoleon III in den praktischerweise nebeneinanderliegenden Villen seiner drei Gespielinnen lustwandelte und andere in- und ausländische Persönlichkeiten von Rang und Namen sich hier sehen ließen. Jugendstil, Kolonialstil, englischer Landhausstil, Klassizistisches oder Barockes – in Vichy baute jeder, der etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, nach seiner Fasson.

In den Fußgängerzonen an der Rue Clemençeau protzen heute Marmor und schicke Geschäfte mit exquisitem Angebot. Vichy wurde geliftet. Renovierte Jugendstilfassaden oder das maurische Gebäude im Parc des Sources, dem Sitz der Compagnie Fermière de Vichy (CFV), die die Geschicke des Ortes bislang lenkte, zeugen von neuer Pracht. Doch diese ist brüchig wie der Flair des maurischen Gebäudes: Die schwingende Harmonie arabischer Baukunst, die es von außen ausstrahlt, verliert sich im Inneren hoffnungslos in der quadratischen Schlichtheit nicht gerade billiger Boutiquen wie „Dorotheé Vanessa“ oder „Feminitude“.

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Kapitalkräftiger Garant für die anvisierte neue „Belle Epoque“ Vichys: der Nestlé-Konzern. Er übernahm im Herbst die Compagnie de Fermière, die Instanz in Vichy. Die CFV wurde 1853 als Konzessionärin der Vichy-Quellen gegründet. Seit 1967 gehört zu dem kapitalkräftigen Unternehmen auch das Zugpferd Perrier. Seit mehreren Jahren nun bastelte die auf Mineralwasser spezialisierte Firma an der Zukunft Vichys. Dafür wurden Millionen ins neue Outfit gesteckt. Lokalpolitiker, die den ehrgeizigen Plänen der Gesellschaft nicht folgten, wurden nach und nach auf die Hinterbänke gedrängt. Die Gesellschaft setzte sich durch. Nestlé, ursprünglich nur am Namen Perrier interessiert, kaufte nun die zukunftversprechende Compagnie de Fermière auf. Mit im Paket: das aufwendige Centre Les Célestins. So bereichert der Konzern seine Produktpalette Lebensmittel um das Wohlsein in der Lebensmitte.

Neben diesem exklusiven Aushängeschild modernster Gesundheitskonzeption gibt es in Vichy auch noch die traditionelle Kur. 30.000 Kassenpatienten könnte die Therme Callou aufnehmen. Die hochmoderne Einrichtung ragt wie ein Schiffsbug in die Stadtlandschaft Vichys. Sie steuert ein neues Element zum eklektizistischen architektonischen Outfit bei.

Die Fangopackung hat hier keine anderen Inhalte wie im ambitiösen Centre Les Célestins, doch sie wird nicht auf dem angenehm schaukelnden Wasserbett verabreicht; und auch das Abduschen danach regeln kalte Duschknöpfe und nicht die sanften Hände der Badefrau mit ihrem umsorgenden „Ce bon?“. Der Preis bestimmt Komfort, Luxus, Angebot und die Größe der Kabinen. Der Preis regelt auch den gesellschaftlichen Verkehr. Mögen Luxustouristen und Kassenpatienten im Park auch gemeinsam promenieren, sich möglicherweise noch an der Pferderennbahn begegnen, spätestens auf dem Golfplatz sind die Schönen und Reichen dann unter sich. Glaubt man den Organisatoren des Centre Les Célestins, so ist ihr Ziel, über das Vehikel des Luxustourismus die Idee ganzheitlicher Gesundheit populär und breiten Schichten zugänglich zu machen.

Ohnehin haben sich die Moden auch in der Welt des Reisens immer von oben nach unten durchgesetzt. Für breitere Schichten müßte diese Mode neben dem Wohlbefinden auch dem Geldbeutel schmeicheln und damit auf prätentiösen Lifestyle verzichten. Die Schönen und Reichen hat es von Côte d'Azur in alle Winde zerstreut, aber bislang nicht nach Vichy getrieben. Und auch Bilder von Prominenten wie Konstantin Wecker beispielsweise beim erholsamen bien-être gingen noch nicht durch die deutsche Regenbogenpresse, um die Urlaubswünsche des Hänschen Müller zu beflügeln. Der Siegeszug der neuen alten Mode steht noch aus.

Doch der Urlaub rund um die individuelle Wellness hat in Zeiten des Ozonlochs, verschmutzter Strände und zunehmender Vereinzelung beste Chancen, mehr als nur zur Freude der Begütertsten zu gereichen. Immerhin bietet er echte Entspannung, individuelle Erholung und unkomplizierten Körperkontakt. Ein qualitativer Sprung nach Jahrzehnten Rimini, Marbella oder der Costa del Sol? Ich jedenfalls lasse mich für mein Geld lieber massieren und ab- checken als von der Sonne verbrennen oder von Animateuren pausenlos belustigen. Regredieren, ja bitte – aber mit Gewinn.

Information: Office de Tourisme de Vichy, Rue de parc, BP 113-03200, Vichy, Tel: 0033/70987194,

Fax: 0033/70310600