An Schlaf ist nicht zu denken

■ Ein irakischer Kurde in Deutschland. Suche nach Menschlichkeit und Freiheit

Ich hatte schon immer zwiespältige Gefühle, was Deutschland anbelangt: Obwohl ich viel von der deutschen Geschichte wußte – die dunkle Vergangenheit und die neu entstandene Demokratie –, waren mir die Lebensgewohnheiten und die Sprache äußerst fremd. In politischen Diskussionen mit Freunden verteidigte ich Deutschland, gegen die Vorbehalte.

Meine Familie ist im Irak als politisch oppositionell bekannt, deshalb mußten meine Geschwister nach und nach das Land verlassen.

Als ich nach dreißig Jahren aus dem Irak flüchtete, hatte ich gezwungenermaßen als Soldat in zwei Kriegen gekämpft und unter politischen Repressalien gelitten – trotzdem war es eine schwere Entscheidung, meine alten Eltern und meine Freunde zurückzulassen, in der Ungewißheit dieses Landes. Aber es war die einzig mögliche Entscheidung – denn im Irak zu bleiben hätte meinen Tod bedeutet.

Ich kam nach Berlin, um hier bei meinen beiden Brüdern zu leben, die seit 1979 und 1990 in Deutschland sind. Der jüngere Bruder studiert mittlerweile, der ältere ist selbständiger Unternehmer – bereit, alle anfallenden Kosten meines Aufenthalts, bis zur Gewährung des Asyls, zu übernehmen.

Aber entgegen den sonst üblichen Entscheidungen wurde mir der Aufenthalt in Berlin nicht bewilligt. Die Ausländerbehörde schickte mich in das Asylbewerberheim nach Freiberg in Sachsen, das als „Verbannungsort“ für straffällig gewordene Asylbewerber gilt.

Ich versuchte herauszufinden, warum ich dorthin geschickt wurde, obwohl ich doch gerade erst nach Deutschland gekommen war, um endlich in Freiheit leben zu können, aber ich bekam keine Antwort.

Dabei ist die momentane Situation im Irak bekannt, viele Menschen in meinem Land kämpfen gegen die Politik Saddam Husseins, die weiter bestehen wird, solange Waffen aus der ganzen Welt geliefert werden, nur um Geld daran zu verdienen.

Seit vier Monaten lebe ich nun unter sehr schwierigen Umständen in Sachsen. Das Heim, ein ehemaliges Krankenhaus, liegt nicht außerhalb, sondern direkt in der idyllischen Stadtmitte. Mehr als zweihundert Menschen aus den verschiedensten Ländern – Rumänien, Vietnam, Albanien, Afghanistan, Rußland, Algerien, Pakistan usw. – sind dort untergebracht.

Niemand kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, in diesem Sammelbecken der Nationen, Kulturen, Sprachen und Religionen zu leben.

Bis zu acht Menschen wohnen zusammen in Durchgangszimmern, eine Privatsphäre existiert nicht. Jeden Tag gibt es Probleme mit Alkohol, der die aufgestauten Aggressionen freisetzt – die Heimbewohner geraten permanent in Konfliktsituationen, sie prügeln sich, und ihre Zerstörungswut richtet sich sowohl gegen die Einrichtungsgegenstände des Heimes als auch gegen die Fensterscheiben der umliegenden Häuser beispielsweise. Das führt unweigerlich dazu, daß uns allen Mißtrauen entgegengebracht wird – „Asylbewerber ist Asylbewerber“.

An Schlaf ist nicht zu denken, weil jeder einen anderen, völlig kranken Lebensrhythmus hat, und so kann es passieren, daß jemand mitten in der Nacht anfängt „Mittagessen“ zu kochen.

Niemand hat eine wirkliche Aufgabe, die Tage sind leer und bedeutungslos, es umgibt uns die kollektive Depression, die Stück für Stück die Persönlichkeit zerstört.

Die Lebensumstände sind entwürdigend, du mußt jeden Tag unterschreiben, um deine Anwesenheit zu belegen, bekommst dann zehn Mark pro Tag, um Nahrungsmittel und Kleidung zu kaufen, darfst Freiberg aber nicht verlassen. Wenn ich meine Brüder in Berlin besuchen will, muß ich mir über meinen Anwalt die Erlaubnis bei der Ausländerbehörde besorgen. Depressive Phasen gehören zu meinem Leben.

Von der Freiheit, nach der ich mich so lange gesehnt habe, fühle ich mich momentan sehr weit entfernt. SK. Al-Bayatty