Der Bettler steigt auf

Boris Jelzin kam nach dem G-7-Gipfel nach Japan: Der russische Präsident bekommt bereits versprochenes Geld in neuer Verpackung  ■ Aus Tokio Donata Riedel

Vor einem Jahr noch war Boris Jelzin in den Augen der Regierungschefs der sieben reichsten Industrieländer ein frecher Bettler. Mit immer neuen Milliardenforderungen war der russische Präsident damals nach München gereist. Die Staatschefs von USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada (G7) reagierten mit dem Aufsummieren aller jemals gezahlten Sowjethilfen zu immer neuen „Rußland-Hilfspaketen“, die sich später als Mogelpackungen erwiesen.

Ganz anders gestern in Tokio. Jelzin, gestärkt durch das Referendum im April, präsentierte sich als überzeugter Anhänger des freien Welthandels. Die G7 sollten vor allem die Zollschranken und andere Handelsbarrieren für russische Waren beiseite räumen. Das wäre die wirkungsvollste Hilfe für den russischen Reformprozeß, sagte Jelzin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem japanischen Gipfelgastgeber Kiichi Miyazawa. In den USA gebe es beispielsweise 300 Gesetze, die russische Waren diskriminierten; erfreulicherweise habe Clinton deren Überprüfung zugesagt, und mit Befriedigung vermerkte Jelzin, daß die G7 Rußland in ihrer wirtschaftspolitischen Erklärung versprechen, sich für die Aufnahme des größten osteuropäischen Reformlandes in das Welthandelsabkommen Gatt einzusetzen.

Zuvor hatten die G7 Jelzin für die Fortschritte, die „Rußland seit München bei seinen mutigen Reformanstrengungen erzielt hat“ in ihrer Gipfelerklärung ausdrücklich gelobt. Allerdings nicht, ohne gleichzeitig auf die hohe Inflationsrate in Rußland kritisch zu verweisen, die im vergangenen Jahr 2.500 Prozent betragen hat. Anlaß zur Sorge sei auch das hohe Defizit im russischen Staatshaushalt, das nach Schätzungen des russischen Finanzministers Boris Fjodorow vom März in diesem Jahr auf 17 Billionen Rubel anschwellen könnte, was 63 Prozent des Bruttosozialproduktes entspräche.

Als schlimmster Inflationsbeschleungiger gilt die Kreditvergabe-Politik der russischen Zentralbank. Allerdings akzeptierten inzwischen auch die G7, daß diese Kredite an die großen Staatsfirmen in Rußland lediglich das fehlende Sozial- und Arbeitslosenversicherungs-System ersetzen. Zur Beruhigung verwies Jelzin darauf, daß im letzten Monat der Rubelkurs gegenüber dem Dollar nicht weiter abgesackt sei. Bei der Lösung der Wirtschaftsprobleme – so schrumpfte die Industrieproduktion vergangenes Jahr um knapp ein Viertel – sei die Unterstützung des Westens auf jeden Fall willkommen. Daß die als Privatisierungfonds zugesagten drei Milliarden Dollar mit genau festgelegten Verwendungszwecken versehen seien, werde verhindern, daß das Geld in dunklen Kanälen versickere. Wie Jelzin es inzwischen von den G7 kennt, sind auch diese drei Milliarden nur ein umgeschichteter Teil aus dem im April zugesagten 43,8 Milliarden-Dollar-Hilfspaket. Jelzin schätzte vermutlich darum weit höher ein, daß die G7 Rußland als wichtigen Partner bei der Lösung weltpolitischer Probleme einstuften.

Gegenüber Japan hat Jelzin offenbar Verständnis für die russische Position in der Kurilenfrage erzielen können. Die vier Inseln im Norden Japans waren von der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg annektiert worden. Japan macht seine Hilfszusagen von der Rückgabe der Inselgruppe abhängig. Diese „emotionale Frage“ so Jelzin gestern, wolle er in der ohnehin „sehr schwierigen Situation, in der sich unsere Leute befinden“, nicht diskutieren. Aber, drehte er den gewohnten Gipfelspieß um: je mehr Japan helfe, desto eher sei das russische Volk zur Rückgabe der Inseln bereit.